Analyse Darum muss Wuppertal jetzt neue Schulden machen dürfen

Wuppertal · Analyse Durch den Stärkungspakt mit dem Land hat die Stadt ihre roten Zahlen um 200 Millionen auf knapp zwei Milliarden Euro gesenkt - und dafür einen hohen Preis bezahlt.

 Schlaglöcher auf Wuppertals Straßen sind eine der Folgen des Sparkurses im Rathaus.

Schlaglöcher auf Wuppertals Straßen sind eine der Folgen des Sparkurses im Rathaus.

Foto: Schwartz, Anna (as)

Schlangen vor dem Einwohnermeldeamt, Schlaglöcher auf der Nevigeser Straße, zu wenige Kindergartenplätze - Wuppertal darbt. Die Stadt hat kein Geld, der finanzielle Spielraum ist gleich null. „Wer für irgend etwas mehr ausgeben will, der muss mir sagen, wo ich das an anderer Stelle einsparen soll“, sagt Stadtkämmerer Johannes Slawig (CDU) mit unschöner Regelmäßigkeit. Und das ist kein böser Wille des Mannes, der seit 20 Jahren in Wuppertal aufs Geld achtet, es ist aus der Not geboren. Wuppertal hat zu viele Aufgaben und Ausgaben bei zu geringen Einnahmen. Hinzu kommt der Stärkungspakt mit dem Land NRW. Hilft Städten wie Wuppertal zwar, einen Haushaltsausgleich zu erreichen. Doch der Preis dafür ist hoch. Das Geld, welches das Land auch in die Stadt an der Wupper gepumpt hat, lässt es sich mit Ausgabendisziplin und Einsparungen verzinsen. Die Konsequenz sind Warteschlangen vor Meldeämtern, weil auch dort Personal abgebaut wurde, und Schlaglöcher auf Straßen, die sich inzwischen auf einen Investitionsstau in einer Höhe von weit mehr als 100 Millionen Euro türmen.

Zwar weist die jüngste Prognos-Studie zum Teil gute Werte für Wuppertal aus. So machte die Stadt bei Innovationskraft und in der Arbeitslosenquote einen deutlichen Sprung nach vorn. Aber bei Armut und Kaufkraft belegt Wuppertal im Dreijahres-Vergleich der Städte und Kreise wie auch Solingen und Remscheid hintere Plätze. Deshalb ist es keine Entwarnung, dass das Bergische Land unter den 19 absturzbedrohten Regionen in Deutschland nicht auftaucht. Denn große Teile des Ruhrgebietes sind dabei, und das Bergische Land ist davon nicht weit entfernt. Dass beispielsweise in Gelsenkirchen heute jeder vierte Einwohner von Hartz IV lebt, muss beispielsweise Wuppertal alarmieren. Denn hier ist verhältnismäßig jeder Siebte von Sozialhilfe abhängig. Absolut sind die Werte von Gelsenkirchen und Wuppertal bei jeweils etwa 50 000 annähernd identisch.

Wuppertal muss seine Infrastruktur verbessern

Die Antwort auf die sich daraus ergebende Frage kann nur Investition lauten. Wuppertal muss seine Infrastruktur verbessern. Es braucht funktionierende Straßen, befahrbare Brücken, genügend Personal in Meldeämtern und für Kindergärten. Es muss Flächen für Einfamilienhäuser entwickeln und sowohl bezahlbaren als auch höherwertigen Wohnraum bauen oder bauen lassen. Für die Wirtschaftsförderung braucht es Gewerbegebiete, in denen ebenso innovative wie möglichst personalintensive Unternehmen angesiedelt werden müssen.

Aber für all das hat der Stadtkämmerer kein Geld. Der Stärkungspakt verbietet es den teilnehmenden Kommunen, sich bei Banken Mittel zu verschaffen. Das ist einerseits zwar löblich, weil es unproduktiv ist, Geld des Steuerzahlers für Schuldzinsen auszugeben. Doch auf der anderen Seite steigt der Investitionsbedarf und sieht es nicht danach aus, dass Wuppertal ohne neue Geldspritzen jemals in der Lage sein wird, genügend einzunehmen, um neben den Pflichtausgaben auch noch Investitionen bezahlen zu können. Außerdem war Geld in Deutschland noch nie so billig wie heute. Da Banken ihre Überschüsse inzwischen nur noch gegen Gebühren bei der Europäischen Zentralbank parken können, sind sie genötigt, das Geld an den normalen Kunden zu bringen. Dafür räumen erste Institute mittlerweile sogar Minuszinsen ein. Wer sich also 100 Euro leiht, muss nur 99,50 Euro zurückbezahlen. Solche und bessere Konditionen gäbe es sicher auch für Städte und Kreise, die in ganz anderen Größenordnungen Kredite aufnähmen als Privathaushalte - wenn sie denn dürften.

Derzeit dürfen sie nicht. Der Stärkungspakt mit dem Land verbietet die Neuverschuldung. Das ist grundsätzlich auch richtig so, aber verhindert, dass die Kommunen den historischen Sondereffekt Niedrigzinsen überhaupt oder im notwendigen Umfang nutzen können. Deshalb wäre es sinnvoll, wenn das Land NRW den Stärkungspakt zumindest für Investitionen in Infrastruktur vorübergehend aussetzte. Dann hätte auch Wuppertal irgendwann einmal wieder mehr Zinsen zu bezahlen, aber bis dahin die Chance, seine Einnahmen so zu steigern, dass für die Stadt unter dem Strich wenigstens eine Schwarze Null steht und für die Wuppertaler eine funktionierende Stadt mit noch höherer Lebensqualität.

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