Diskussion Critical Mass Wuppertal fordert klare Sprache in Berichterstattung

Wuppertal · Die Fahrrad-Aktivisten kritisieren die Formulierungen der Polizei bei der Beschreibung von Verkehrsunfällen.

 Critical Mass Wuppertal hatte zu einer Schweigeminute für den getöteten Radfahrer in Oberbarmen eingeladen.

Critical Mass Wuppertal hatte zu einer Schweigeminute für den getöteten Radfahrer in Oberbarmen eingeladen.

Foto: Fries, Stefan (fri)

Eine Binsenweisheit lautet, dass Worte die Macht haben, das Denken der Menschen zu beeinflussen. Als ein Fahrradfahrer am 1. Oktober in Oberbarmen von einem Lkw-Fahrer überrollt wurde und verstarb, schrieben die Pressestelle der Polizei Wuppertal und Medien unter anderem von einem „Verkehrsunfall“ sowie einer „Berührung“ zweier Fahrzeuge, infolgedessen der Radfahrer stürzte. In den sozialen Medien regte sich angesichts der Berichterstattung Unmut, der sich gegen eine Verharmlosung des Geschehens durch einen verhüllenden Wortgebrauch wandte.

Critical Mass Wuppertal, ein Zusammenschluss von Radlern, die einmal im Monat eine Runde durch die Stadt drehen, betonte auf der eigenen Facebook-Seite, dass der Radfahrer von einem Lkw-Fahrer „getötet“ wurde und es sich nicht um einen Unfall, sondern um eine „Kollision“ gehandelt habe, zusätzlich versehen mit dem Hashtag „StopKillingCyclists“ (hört auf, Radfahrer zu töten).

Die Administratoren von Critical Mass Wuppertal rechtfertigen öffentlich ihre Wortwahl damit, dass sie eine Veränderung im Denken der Menschen erreichen wollen. Sie sehen in der Sprache, mit der über Fälle wie in Oberbarmen berichtet wird, einen Grund dafür, weswegen unzureichend Regeln erlassen werden, um die schwächsten Verkehrsteilnehmer zu beschützen: „Es ist zentral wichtig, die Dinge so zu benennen, wie sie wirklich sind und beschönigende Begriffe oder Ansichten abzulegen.“

Mit dem Begriff „Unfall“ würden Schicksal und unerklärbare Ursachen assoziiert, er sei nicht neutral. „Der neutrale Begriff ist Kollision“, heißt es bei Critical Mass etwa. Ein Radfahrer, der von einem Autofahrer von der Straße abgedrängt wird, werde „aktiv von diesem verletzt“, es sei auch kein „autonomes Auto“, welches den Radfahrer gefährde, sondern immer der Fahrer, argumentiert Critical Mass. Die Radfahrer-Lobbyisten wenden sich gegen eine „Objektifizierung“ des menschlichen Handelns. Sie fordern eine „klare Sprache“, schon alleine aus Respekt vor den Opfern, auch wenn dies zunächst unangenehm sein könne.

Polizei: Pressemitteilungen
sind objektiv formuliert

Stefan Weiand, Polizeihauptkommissar und Pressesprecher des Polizeipräsidiums Wuppertal, kann die Kritik nicht nachvollziehen. Er erklärt auf Nachfrage zu den Formulierungen in Pressemitteilungen, dass diese die Grundlage für eine objektive Berichterstattung in den Medien schaffen. „Bei der Formulierung wird Wert auf eine objektive Darstellungsweise der Sachverhalte gelegt, ohne hierbei eine Wertung vorzunehmen.“ Die Wortwahl von Critical Mass Wuppertal wollte die Polizei nicht kommentieren.

Für einen anderen Sprachgebrauch bei Geschehnissen wie dem vom 1. Oktober setzt sich auch Kirsten Haberer, Vorsitzende der Fahrradstadt Wuppertal e.V., ein. Ziel sei, das Bewusstsein für die Tatsachen zu schärfen. „Der Radfahrer ist durch den LKW-Fahrenden zu Tode gekommen, da ein LKW nicht autonom auf der Straße unterwegs ist, sondern von dem Fahrer gesteuert wird.“ Ganz wichtig sei in diesem Zusammenhang: „Diese Formulierung impliziert keine Schuld und erst recht keinen Vorsatz“, betont sie. Man habe sich jedoch mittlerweile an die gängigen Formulierungen gewöhnt, sodass die Nennung der Tatsachen drastisch erscheine.

An der Schweigeminute, die Critical Mass in Oberbarmen für den getöteten Radfahrer abgehalten hatte, hat Kirsten Haberer teilgenommen. „Ich hatte Gänsehaut. Über 400 Menschen brachten stillschweigend ihr Mitgefühl zum Ausdruck“, berichtet sie. Tief berührt habe sie der Moment, als nach einigen Minuten der totalen Stille die Andacht mit einem lauten Klingelkonzert endete.

Sie selbst habe als Radfahrerin schon viele brenzlige Situationen im Wuppertaler Straßenverkehr überstanden. „Ich und viele Radfahrende erleben tagtäglich einen oder mehrere Nahtoderfahrungen. Meine Wortwahl klingt drastisch, aber so empfinde ich die Situation auf Wuppertals Straßen“, erklärt sie. Häufig führe nur die eigene Voraussicht beim Fahren dazu, dass man gesund am Ziel ankommt.

„Doch wenn ein Fahrzeug von hinten oder der Seite kommt und dessen Fahrer abgelenkt ist, hat man unter Umständen keine Chance“, sagt sie. Warnwesten oder Helme verhinderten keine Zusammenstöße. „Sichere Infrastruktur, getrennte Wege und mehr Kontrollen bei allen Verkehrsteilnehmern können aber dabei helfen, Gefahren zu minimieren.“

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