Wuppertal Chefarzt im Notfallzentrum: „Wir werden überlaufen“

In zehn Jahren stieg im Helios in Wuppertal die Zahl der Notfall-Patienten um 13.000 Menschen. Chefarzt Dr. Jan Hammer sagt: Jeder Zweite ist hier falsch.

Wuppertal: Chefarzt im Notfallzentrum: „Wir werden überlaufen“
Foto: Stefan Fries

Wupertal. Dieter Dummann weiß noch gar nicht, wie ihm geschehen ist. Der 75-Jährige liegt mit rotem Kopf in einem von sechs Betten im Überwachungsraum der Notaufnahme im Barmer Helios—Universitätsklinikum. Bei der Ersteinschätzung fiel auf, dass sein Puls mit 150 gefährlich hoch ist. „Ich hatte davon gar nichts gemerkt“, sagt Dummann. Seine zwei Bettennachbarn fühlen sich weniger gut. Ein Patient hatte einen Schlaganfall, dem anderen macht eine Blutvergiftung zu schaffen. Sie alle sind Patienten der Dringlichkeitsstufe rot.

„Diese Patienten dürfen wir nicht warten lassen“, sagt Dr. Jan Hammer, Chefarzt im Notfallzentrum. Seine Abteilung funktioniert nach einem Triage-System. Nach einer ersten Untersuchung werden alle Patienten in der Notaufnahme in vier Kategorien eingeteilt: rot (sofortige Behandlung), gelb (dringende Behandlung), grün (aufschiebbare Behandlung) und blau (keine Dringlichkeit).

Welcher Patient im Wartezimmer mit welcher Farbe ins Rennen geht, entscheidet heute der fachkundige Blick von Susanne Bauer. Die Krankenschwester arbeitet seit 1990 in der Notfallambulanz. Ihr Wirkungsbereich ist ein kleiner Raum mit Liege. Nach wenigen Minuten sieht sie sich die Neuankömmlinge hier ein erstes Mal an. Bauer sagt: „Im Prinzip habe ich schon beim ersten Ansehen ein Gefühl.“ Entscheidend ist jedoch das Ergebnis einfacher Messungen: Blutdruck, Puls, Temperatur.

„Hier trennen wir die Spreu vom Weizen“, sagt Dr. Hammer. Im Klartext: Hier entscheidet sich, wer sofort drankommt oder wer unter Umständen mehrere Stunden warten muss. Da muss Susanne Bauer manchmal diskutieren: „Die Leute fragen, welche Farbe sie haben und beschweren sich manchmal, wenn sie blau sind.“ Die „Blauen“, so sagt es Dr. Jan Hammer ganz klar, sind eigentlich in der Notaufnahme an der falschen Adresse. „Wir haben hier jeden Tag 120 Patienten, von denen man 60 wieder wegschicken könnte.“ Über Jahre sei die Quote konstant geblieben: Nur jeder dritte Patient werde stationär aufgenommen. Gleichzeitig stieg aber die absolute Zahl der Menschen, die in die Notaufnahme kommen, drastisch an — von jährlich 36 000 in 2007 auf 49 000 in 2017. „Wir werden überrannt“, sagt Hammer.

Er bemerke, dass die Hemmschwelle, in die Notaufnahme zu gehen, gesunken ist. Selbst im Rettungswagen — der rund 40 Mal am Tag die Klinik ansteuert — kommen längst nicht nur echte Notfälle an. „Wir hatten hier schon Menschen mit einem grippalen Infekt“, sagt Hammer. Ein anderes Mal habe er einen Mann mit Durchfall zum Hausarzt verwiesen, nur damit der Patient kurze Zeit später wieder auftauchte — im Rettungswagen. Sein Arzt hatte schon geschlossen.

Die Auswirkungen des Ansturms schlagen sich in den Wartezeiten der Patienten nieder, die keine dringende Behandlung benötigen. Die WZ berichtete von einem aktuellen Fall, in dem ein Patient fast sechs Stunden im Helios-Wartezimmer saß und ohne Hilfe wieder abzog. Hammer gibt zu: „Da haben wir es versemmelt.“ Die Regel seien solche extremen Zeiten nicht. Im Schnitt gebe es nach 33 Minuten den Erstkontakt mit einem Arzt. Trotzdem stoße das System, gerade zu Spitzenzeiten und bei größeren Unfällen, an seine Grenzen. Freitagnachmittags etwa komme es immer wieder zu Platznot, weil die neun Behandlungsräume belegt sind. Daher soll mit dem Umbau des Klinikums auch das Notfallzentrum erweitert werden.

Die Personalsituation sei eigentlich kein Faktor für die Wartezeiten, so Hammer, der in seinem Zentrum je nach Tageszeit mit sechs bis neun Ärzten und drei bis sechs Pflegekräften ausgestattet ist. Obwohl das Klinikum im Pflegebereich mehr Personal sucht und nicht fündig wird.

Jan Hammer glaubt, dass der Pflegeberuf gerade wegen der Arbeitsverdichtung unbeliebter wird. „Wo früher sechs Pflegekräfte waren, sind es heute vier“, sagt er. Das liege an den komplexeren Anforderungen. „Es gibt kürzere Liegezeiten in den Krankenhäusern, also mehr Patientenwechsel. Und die Leute werden älter.“

Sandra Bauer holt den nächsten Patienten zu sich. „Der Beruf kann schon stressig sein“, sagt die Krankenschwester. Es ist 11.30 Uhr, sie hat bereits 40 Menschen begutachtet. Gelassen blickt sie in den gut gefüllten Wartebereich: „Heute ist es ruhig.“

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