Bühnenliterat erzählt von einem echten Antihelden

Jörg Degenkolb-Degerli war mit seinem Soloprogramm im Kontakthof.

Bühnenliterat erzählt von einem echten Antihelden
Foto: Andreas Fischer

Wer ist eigentlich Björn Godeking? Der Kontakthof war voll besetzt mit Leuten, die das wissen wollten. Die Antworten gab Bühnenliterat Jörg Degenkolb- Degerli. Bei seinem Soloprogramm „Einer lag im Kuckucksnest“ las er aus den Godeking-Tagebüchern, angeblich bei einer Kellerentrümpelung wiederentdeckt. Godeking habe wirklich gelebt, versicherte Degenkolb-Degerli mit Nachdruck. Ein „Beweis“ war, dass sich der früh verstorbene Tagebuchschreiber per Einspieler zu Wort meldete - und über „diesen Doppeldings“ schimpfte, der sein geistiges Eigentum geklaut habe.

Alles nur erfunden? Egal. Lebensprall war die „Lay-Down-Tragedy“ - wahrscheinlich die Zwillingsschwester der Stand-Up-Comedy - auf jeden Fall. Alles begann mit „Kuckucksei“ Björn, der schon im Mutterleib das Schreiben und kurz nach Geburt die Hypochondrie für sich entdeckt. Weiter ging es mit der langen Liste von eingebildeten Krankheiten, die der Jugendliche durchmachen muss. Und der Karriere eines Schriftstellers, der das Klischee vom sensiblen Künstler nicht erfüllen mag und seine Freizeit lieber in Baumärkten verbringt.

Die Tagebuchfragmente fügten sich zu einem ziemlich verkorksten Leben zusammen. Doch es wurde so gag- und temporeich erzählt, dass sich die Zuhörer vor Lachen die Bäuche hielten.

Degenkolb-Degerli war so frei, zwischendurch ernst zu machen. Dazu gehörten Erinnerungen an den Anschlag auf das World Trade Center, die er über einem düster wabernden Soundteppich sprach. Wann sei Schluss mit Fanatismus und Zerstörungswut, fragte er in die Runde. „Wann akzeptieren wir endlich, dass wir nur ein großer Zufall sind?“

Den Tod seines Antihelden dagegen wollte der Vorleser überhaupt nicht ernst nehmen. In der Beerdigungsszene sang er „Atemlos durch die Nacht“ - und auf einmal bekam die Helene-Fischer-Schnulze eine ganz neue, morbide Bedeutung. Selbst Godekings Reise durch Jenseits klappt nicht so richtig, weil der mit vielen anderen Verstorbenen im Stau stecken bleibt.

Umso schöner war die Reise, die das Publikum auf Godekings Spuren machen konnte. Unter stürmischem Beifall bedankte sich Degenkolb-Degerli beim Kontakthof-Team und wünschte der neuen Leitung - Ilona Ludwig und Stefan Mühlhaus - gutes Gelingen.

facebook.com/ jorg.degenkolbdegerli

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