Was glauben Sie denn? Bracha we Schalom – Segen und Frieden

Wuppertal · Ruth Tutzinger vom Gemeinderat der Jüdischen Kultusgemeinde über den Wunsch nach Segen und Frieden.

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Foto: Fries, Stefan (fri)

Wenn von der Hebräischen Bibel, dem sogenannten Alten Testament, die Rede ist, hört man oft, sie sei voller Gewalt. Ja, es ist ein sehr altes Buch, das die Lebenswirklichkeit der Menschen schildert. Aber sieht es in unserer technisierten, aufgeklärten Zeit unter uns Menschen etwa anders, gar besser aus?

Einen wesentlichen Unterschied gibt es.  Durch alle Kapitel der Bibel zieht sich der Wunsch nach Segen und Frieden, ja sogar die später nieder geschriebene mündliche Lehre (Talmud) endet mit dem Wunsch: „ER gebe dir Frieden!“

Trotz aller wissenschaftlichen Erkenntnisse ist die Existenz oder Nichtexistenz eines Schöpfergottes als erste Ursache der Entstehung des Universums weder erwiesen noch widerlegt worden. Also glauben auch heute noch viele Menschen, auch Naturwissenschaftler,  an diesen Schöpfer, dessen Schöpfung erst gedeihen konnte, nachdem ER sie gesegnet hatte. Am Ende der Schöpfung hat ER den 7. Tag als geheiligte Zeit für den Menschen gesegnet.  ER hatte den Menschen gleich nach seiner Erschaffung gesegnet, siehe den Schöpfungsbericht  im 1. Buch Moses. Doch als Jahrhunderte später Avram Zweifel kamen an den vielen Götzen, die ihn umgaben, da führte Gott ihn heraus in ein anderes Land und sagte zu ihm: „In dir sollen gesegnet sein alle Völker“ und „Wen du segnest, der soll gesegnet sein…“. Deswegen nannte er ihn Avraham, den „Vater der Vielen“. Übrigens glaubten die Menschen damals, Segen und auch Fluch seien magische Kräfte.  Nur damals?

Heute betreibt eine weltweite Glückwunsch-Industrie lukrative Geschäfte und hoffen wir nicht immer noch, dass unsere, wenn auch gedruckten,  Glückwünsche mindestens einen Augenblick der Freude bewirken?

Die beiden Wörter BRACHA und SCHALOM  bestehen im Hebräischen  nur aus jeweils drei Konsonanten. Doch diese drei Buchstaben haben viele Bedeutungen. Bei B-R-CH  haben wir „Knie, niederknien – in Verzweiflung und  Schuld, aber auch in Anbetung und Jubel“. Je nach Kontext kann es auch „sich brüsten“ oder „lästern“ bedeuten. SCHALOM/ SCH-L-M  wird heute oft schlicht als Gruß gesagt und wird mit „Frieden“ übersetzt, heißt aber vor allem: „zu Ende gehen, vollendet sein, unverletzt, wohlbehalten, befreundet sein, Frieden schließen“, ebenso: „bezahlen, vergelten, etwas gewähren“.

Im 4. Buch Moses (6, 23-26) gibt es ein sehr schönes Beispiel für den Zusammenhang dieser beiden Begriffe, das unter dem Namen Aaronitischer Segen oder Priester-Segen bekannt ist.

Im Vers 23 geht es um die Vorbereitung der Priester. Moses wird beauftragt, er solle Aaron  und seine Söhne in diesen Segendienst einweisen. Sie waren diejenigen, die mit den wichtigsten Diensten im Tempel betraut waren. Es sollten immer mehrere Cohanim/Priester den Segen sprechen, damit nicht einer auf die Idee käme, er sei besonders wichtig. Überhaupt mussten es liebevolle, demütige Menschen sein, Fanatiker und Hasser sind bis heute, auch wenn sie Abkömmlinge des Priestergeschlechts sind, für diesen Dienst ungeeignet. Im Tempel wurde der Segen täglich gesprochen. Nach der Zerstörung der Tempel 70 n. d. Zt. wurde er in eines der Hauptgebete, in die „Amida“ aufgenommen und vom Vorbeter oder Kantor gesungen.

An Feiertagen, die eine besonders freudige Atmosphäre haben, werden die Cohanim, sofern es in der Gemeinde nach der Schoa noch welche oder einen gibt, gebeten, diesen Segen in feierlicher Form dem Vorbeter nachzusprechen. Dieser spricht ihnen  Wort für Wort diesen Segen vor, denn es muss ihnen bewusst sein, dass sie auf Wunsch der Gemeinde, die Gottes Segen erbittet, lediglich als Sprachrohr Gottes dienen.

Der Text lautet:  „Jewarechächa Ha’Schem we’jischmerächa“ (Es möge dich segnen Ha’Schem und ER möge dich behüten). Im Hebräischen steht hier eine besondere grammatische Form, die nur für eine an einen Dritten gerichtete Bitte verwendet wird. Es sind nur drei Wörter. In der Mitte von zwei  Verben steht der Gottesname. Die Verben stehen im Singular, weil das Volk als eine Einheit vor Gott steht, aber innerhalb des Volkes auch jeder einzelne gemeint ist. Bei dieser ersten Bitte geht es um Leben und Gesundheit und materiellen Wohlstand. Die zweite Bitte umfasst fünf Wörter: „Jaer Ha’Schem panaw elächa wichunächa“ (Es leuchte Ha’Schems Antlitz zu dir hin und ER sei dir gnädig). In dieser Bitte geht es um eine geistige Ebene, der Geist des Menschen möge erleuchtet werden, sich entwickeln zu können zur Ehre Gottes und zum Wohl der Menschen und der Schöpfung. Seine Gnade bewirke Freundlichkeit unter den Menschen.

Die 3. Segensbitte umfasst 7 Wörter: „Jissa Ha’Schem panav elächa wejassem lecha schalom“. (Es  sei dir zugewandt das Antlitz Ha’Schems und ER gebe dir Frieden). Wenn Ha’Schem uns zugewandt bleibt, gelingt es uns Menschen besser, in Seinen Wegen zu gehen zum Segen für uns und unsere Umgebung. „Frieden“ sagen unsere Gelehrten, ist einer der Pfeiler der Welt. Wir bitten um die Kraft, diesen Pfeiler  stützen zu können, zur Heilung und Vervollkommnung der Welt.

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