Bei der EM geht’s um die Wurst

Ausgewandert: Seit 1999 lebt der gebürtige Wuppertaler Carsten Czerny in Wien. Bei der EM dreht es sich für ihn nicht nur um das Thema Fußball.

Wuppertal/Wien. Ganz Österreich fiebert dem Spiel gegen Deutschland entgegen. Ganz Österreich? Nein! In Wien lebt einer im siebten Bezirk, den das ganze Buhei um das mit Spannung erwartete sportliche Nachbarschaftsduell kalt lässt. "Im Stadion war’s mir früher schon immer zu laut", erklärt Carsten Czerny. Das ist aus ohrenärztlicher Sicht durchaus verständlich, aber dennoch verblüffend.

Denn der 36-Jährige ist gebürtiger Wuppertaler, ein "Piefke" also, und in Deutschland ist Fußball für die Menschen bekanntlich mindestens so lebenswichtig wie atmen, schlafen oder essen - nicht nur in den Wochen einer Europameisterschaft, versteht sich. Da nimmt man den einen oder anderen Hörschaden gerne in Kauf. Vielleicht brüllen die deutschen Fans deshalb immer so besonders laut. Wer weiß...

Carsten Czerny, seit 1999 in Wien zu Hause, sieht das alles jedenfalls ganz gelassen, wenngleich die EM-Euphorie in der Walzerstadt natürlich auch an ihm nicht völlig vorbeigeht. Sicher, er sei bei den Spielen der Österreicher mal an der Fanzone gewesen. "Gucken gucken", nennt er das. Im Klartext: einfach mal schauen, wie alle rund ums Rathaus public viewen. "Friedlich war’s, und lustig", sagt Czerny. Wieso lustig? "Weil direkt nach dem Spiel alle in Richtung Innenstadt abgehauen sind. Kein Wunder, da gibt’s viel besseres Bier - und billiger ist’s auch."

Sowieso seien viele Wiener geradezu narrisch angesichts der kulinarischen Blutgrätschen, die sich die Uefa in den Fanzonen erlaubt habe. Dort sind Burenwurst und Käsekrainer während der Fußballwochen aus den Würstchenbuden verbannt worden. Statt der "Eitrigen mit 16er-Blech" - so bestellt der echte Wiener seine beliebte Krainer Wurst und eine Dose Ottakringer Bier - gibt’s jetzt schnöde Hot Dogs und den Gerstensaft des Turniersponsors. "Offenbar haben die Organisatoren gedacht, dass die vielen zugereisten Fans die Wiener Wursttradition nicht verstehen." Da staunt der Laie, und Carsten Czerny wundert sich.

Das große Spiel seines neuen gegen das alte Heimatland lässt sich aber selbst der eingefleischte Fußball-Ignorant Czerny nicht entgehen. Auf der Kaiserwiese wird er sich die Partie gemeinsam mit seiner Partnerin und Freunden anschauen und sehen, ob es wirklich zum "Wunder von Wien" und zu "Cordoba 08" kommt. Gefahr, als "Piefke" ins Visier der rotweißen Fans zu geraten, läuft er nach fast einem Jahrzehnt in Österreichs Hauptstadt kaum mehr. Der sprachlichen Anpassung sei Dank.

Die von Lärm geprägten Fußball-Erinnerungen des 36-Jährigen stammen übrigens noch aus Wuppertaler Zeiten. Man sollte meinen, dass der versierte Hobby-Gitarrist damals durch die zahlreichen Proben mit seiner Hardrock-Truppe im Keller des heutigen Rex-Theaters am Kipdorf abgehärtet worden wäre. Doch dort trug er stets Oropax.

Solche hatte er im proppenvollen Stadion am Zoo, in das ihn ein guter Freund in den frühen 90er Jahren schleppte, wohl nicht zur Hand - oder im Ohr. Der WSV spielte um den Aufstieg in die zweite Liga, aber an solche Details - abgesehen vom Lärmpegel am Zoo - erinnert sich Carsten Czerny heute nicht mehr. Wieso auch, Fußball lässt ihn nun einmal kalt.

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