Naher Osten „Arabischer Frühling ist noch nicht vorbei“

Wuppertal · Seit Jahrzehnten engagiert sich der Wuppertaler Arno Gerlach für Israel und die jüdisch-christliche Versöhnung. Und der Gegenwart zum Trotz sieht er eine Perspektive für Frieden.

 Ein israelischer Soldat vor einem mobilen „Iron Dome“-Raketenabwehrsystem bei Beer Sheva, das Raketen aus dem Gazastreifen abfangen soll.

Ein israelischer Soldat vor einem mobilen „Iron Dome“-Raketenabwehrsystem bei Beer Sheva, das Raketen aus dem Gazastreifen abfangen soll.

Foto: picture alliance / dpa/Abir Sultan

Die Wuppertaler Schwebebahn ist auf dem Weg in den Süden Israels. Am Dienstag wurde das von den Wuppertaler Stadtwerken gefertigte Modell im Maßstab 1:12,5, gut vier Meter lang, zwei Meter hoch und einen Meter breit, auf die Reise geschickt. Der Freundeskreis Beer Sheva finanziert den Transport, in vier Wochen soll die aus Edel- und Cortenstahl gefertigte Nachbildung am nördlichen Rand der Negev-Wüste angekommen sein.

Das bergische Wahrzeichen ist ein verspätetes Geschenk an die Wuppertaler Partnerstadt Beer Sheva zur Staatsgründung Israels vor 70 Jahren. Das Jubiläum wurde schon im vergangenen Jahr gefeiert, aber die politische Lage in Israel und die aufwendige Vorbereitung, um das Modell vor Ort auch angemessen aufstellen zu können, haben die Lieferung verzögert. Die Idee für das Geschenk stammt von Arno Gerlach, dem Gründer des Freundeskreises Beer Sheva vor 36 Jahren und seither auch sein Vorsitzender. Noch immer kann er sich begeistern, dass die Pläne jetzt Wirklichkeit werden.

Geprägt durch Migranten und rund hundert Kulturen

Es ist auch eine Begeisterung gegen die bedrohte Lebenswirklichkeit vor Ort. Die Stadt Beer Sheva hat gut 220 000 Einwohner, verfügt aufgrund ihrer Lage über reichlich Expansionsflächen und ist durch Migranten und rund hundert verschiedene Kulturen geprägt. Vor allem aber wird der Alltag von der seit Jahren bestehenden Bedrohung durch Raketenbeschuss aus dem gerade 40 Kilometer entfernten Gazastreifen geprägt.

 Und nicht nur dort: Kleinere Städte wie Sderot oder Erez liegen unmittelbar an der Grenze. Die Menschen konnten ihre Häuser in diesen Orten gar auf steuerfreien Grundstücken bauen, um einen Anreiz zu bieten, die Region nicht zum Niemandsland verkommen zu lassen. „Aber sie haben jetzt die Schnauze voll“, sagt Gerlach. „Die wollen nicht mehr. Das ist kein Leben mehr.“

Gerlach ist ein intimer Kenner Israels. Seit 40 Jahren reist er mehrmals im Jahr dorthin, mehr als 200 Besuche sind es schon geworden. Der 78-Jährige ist bis in Regierungs- und Militärkreise vernetzt, der vor einem Jahr verstorbene Schriftsteller Amos Oz zählte ebenso zu seinem Freundes- und Bekanntenkreis, wie es der frühere israelische Botschafter Avi Primor heute noch tut. Und wenn man den früheren Wuppertaler CDU-Ratsherrn fragt, welche Wege zum Frieden er überhaupt noch sieht, sagt er: „Es gibt eine Perspektive trotz der zermürbenden Situation.“

Diese Perspektive ist für ihn keineswegs in erster Linie mit der Frage der jüdischen Siedlungen im Westjordanland verbunden, in denen die USA inzwischen nicht mehr grundsätzlich einen Bruch mit dem internationalen Völkerrecht sehen, deren Räumung aber für viele andere Grundvoraussetzung für einen Frieden in der Region ist. Gerlach ist dagegen überzeugt: „Selbst wenn die Siedlungen alle verschwinden würden, irren diejenigen, die glauben, damit würde der Friede einziehen.“ Das sei eine Träumerei „und wird nicht so kommen“.

Gerlach erinnert an die gescheiterten Verhandlungen von Camp David im Jahr 2000. Damals habe Israels Premier Ehud Barak größere Zugeständnisse gemacht als je zuvor. „Aber Arafat hat auch da Nein gesagt.“ Was für den Freundeskreis-Vorsitzenden nicht heißt, dass die Siedlungen gar keine Rolle mehr spielen: „Sie sind ein psychologisches Hindernis. Um die Friedensgespräche voranzubringen und wenn sie dem wirklichen Frieden dienen, müssen die Siedlungen weg.“

Aber seine eigentliche Hoffnung ruht auf einer anderen Entwicklung: „Der arabische Frühling ist noch nicht vorbei.“ Gerlach rechnet in Nordafrika, aber auch beispielsweise im Iran mit einer Bevölkerung, die keine Ruhe mehr gibt. „Es werden immer mehr Menschen, die sich nicht mehr bevormunden lassen wollen.“ Er berichtet von einer Bewegung aus allen arabischen Staaten, bei der sich Politiker, Kaufleute, Akademiker und Intellektuelle treffen, um ein gemeinsames Vorgehen zu beraten. „Erste Gespräche haben schon stattgefunden.“ Kein Volk lasse sich auf Dauer unterdrücken. „Davon träume ich nicht nur, dafür möchte ich auch noch arbeiten.“ Ob er die erhofften Veränderungen in der arabischen Welt noch erlebe, „das bezweifle ich“. Aber er ist sicher: „Die heute Raketen schießen, sind schon von gestern.“

Dritte Wahl innerhalb
eines Jahres ist wahrscheinlich

Israel ist für ihn in dieser Situation ein demokratisches Bollwerk gegen eine gefährliche Entwicklung. Eine Demokratie allerdings, die derzeit kaum in der Lage scheint, eine regierungsfähige Mehrheit zu bilden. „Zurzeit gibt es dafür keine Perspektive.“ Auch Gerhard rechnet mit der dritten Wahl innerhalb eines Jahres, nachdem weder der amtierende Ministerpräsident Benjamin Netanjahu noch sein derzeitiger größter Konkurrent Benny Gantz eine Regierungsbildung hinbekommen haben. Und er baut auf einen Wandel, der schon bei vielen israelischen Spitzenpolitikern zu beobachten gewesen sei. Gerade die unter ihnen oft verbreitete militärische Erfahrung führe mehrheitlich zur Einsicht in die beschränkten Möglichkeiten, durch kriegerische Auseinandersetzungen Dinge zum Besseren zu bewegen.

In diesem Wandlungsprozess will Gerlach fest an der Seite Israels stehen. Er sei kein „Schönwetterfreund“, hat er mal gesagt. Dass der Träger der Ehrendoktorwürde der Ben-Gurion-Universität in Beer Sheva und des Ehrenrings der Stadt Wuppertal sich seit Jahrzehnten für die deutsch-israelische wie für die christlich-jüdische Versöhnung engagiert, hat biografische Wurzeln. Sein Vater war Lokomotivführer und erhielt im Krieg den Auftrag, in Ostpreußen einen Güterzug zu übernehmen, dessen Frachtpapiere ihm aber verweigert wurden. An einer Zwischenstation wollte er die Überprüfung selbst übernehmen. Der erste Wagon war leer, aus dem zweiten aber drangen Menschenstimmen. Da wusste er, dass er den Transport von Juden in ein Konzentrationslager übernehmen sollte. Der Vater verweigerte den Dienst – und überlebte. Seinem Sohn trug er nach dem Krieg auf, Versöhnungsarbeit zu leisten. Es wurde eine Lebensaufgabe daraus.

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