E-Commerce Andreas Haderlein: „Online City Wuppertal war Hilfe zur Selbsthilfe“

Früherer Online-City-Berater Andreas Haderlein über lokales Online-Marketing und seine Lehren aus dem Projekt in Wuppertal.

E-Commerce: Andreas Haderlein: „Online City Wuppertal war Hilfe zur Selbsthilfe“
Foto: IVERSEN

Andreas Haderlein war Berater der Online City Wuppertal (OCW). Er hat jetzt ein Manifest mit 14 Thesen zum lokalen Online-Handel veröffentlicht.

Herr Haderlein, die Bestellungen bei der Online-City waren immer relativ niedrig. Warum wird es trotzdem als Erfolg verbucht?

Haderlein: Bei OCW ging es vordergründig nie um die reinen Bestellmengen. Und selbst wenn: Die Zahlen sprechen eigentlich für das Projekt.

Warum?

Haderlein: Weil die Konversionsrate, also die Zahl der Online-Besucher, die am Ende Online-Kunden werden, in Spitzenzeiten bei 1,8 Prozent lag. Im deutschen Durchschnitt sind es drei Prozent. Aber selbst diese Kennzahl ist für das Projekt nie alleine ausschlaggebend gewesen. Außerdem kenne ich die aktuellen Zahlen nicht, weil ich ja seit Mai 2016 nicht mehr involviert bin.

Was ist entscheidend?

Haderlein: Es ging und geht noch immer um die Steigerung der Online-Sichtbarkeit des lokalen Einzelhandels. Menschen suchen Produkte im Internet. Wenn wir Glück haben, nicht nur bei Amazon, sondern über Suchmaschinen . Wenn OCW-Händler also berichten, sie haben zehn Prozent mehr Umsatz jährlich seit sie bei OCW mitmachen, liegt das nicht an den reinen Online-Bestellungen, sondern vor allem daran, dass Kunden lokale Händler auch im Netz finden — vor allem deren Produktsortiment. Den Zusammenhang, dass stationäre Einkäufe und Frequenzgewinne zunehmend online-induziert sind, nennt man Ropo-Effekt. Er soll in der zweiten Förderphase sogar erforscht werden. Die OCW braucht ein Messbarkeitsmodell jenseits der Bestellmengen, das die Sinnhaftigkeit verdeutlicht.

Sie haben jetzt 14 Thesen zum lokalen Online-Handel veröffentlicht.

Haderlein: Es sind Denkanstöße, die ich aus meinen Erfahrungen im Projektmanagement der Online-City entwickelt habe. Es geht mir darum, die Auseinandersetzung mit Online-Lösungen für den lokalen Handel zu vertiefen.

Sie sagen etwa, dass die Finanzierung des „Kümmerers 2.0“, einer verantwortlichen Person, politisch gewollt sein muss. Haben Sie das so in Wuppertal erfahren?

Haderlein: Nein, im Projektmanagement mussten Christiane ten Eiken und ich lokal dicke Bretter bohren, um das Projekt zu verwirklichen. Die Wirtschaftsförderung hat viel Vertrauen in uns gesetzt. Viele andere lokale Institutionen waren aber nicht dabei. Weder das Stadtmarketing noch die IHK haben sich wesentlich beteiligt. Das ist bei online-lokalen Maßnahmen in anderen Städten anders. Das ist keine Generalkritik an den Wuppertaler Verhältnissen und sicher haben auch wir Fehler gemacht. Es ist aber schon seltsam, dass die OCW national in aller Munde ist, lokal aber immer misstrauisch beäugt wird. Ihre Eingangsfrage bestätigt dieses Bild ja.

Was muss die Politik tun?

Haderlein: In den Städten sollte es einen Verantwortlichen für digitales Dachmarketing für den Gewerbestandort geben. Das Internet ist heute genauso ein öffentlicher Raum wie die Fußgängerzone. Nur fehlen uns noch die Instrumente, diesen digitalen Vorhof des stationären Handels adäquat zu bespielen. Um im Bild zu bleiben, es geht um die virtuelle Weihnachtsbeleuchtung in Google. Das ist keine Raketenwissenschaft. Aber es muss eben ein politisches Bewusstsein dafür geben, dass in der Zukunft digitale Infrastrukturen vonnöten sind, um lokale Händler und Dienstleister auch online zu unterstützen.

Ist das nicht Aufgabe der Händler?

Haderlein: Natürlich! Immerhin hat Wuppertal mit Talmarkt - Online City Wuppertal e.V. nun die deutschlandweit erste Interessengemeinschaft mit Fokus auf den Betrieb und Ausbau eines lokalen Online-Marktplatzes. Denn die Händler müssen sich neu orientieren, wenn sie nicht bereits ihre stationären Umsatzverluste über eine stringente Online-Strategie ausgleichen. Sie müssen in Systeme investieren, etwa in eine elektronische Warenwirtschaft. Sie müssen erkennen, dass die Vertriebshoheit des stationären Handels passé ist und darauf reagieren. Mehr Service, mehr digitale Exzellenz. Die OCW war ein Hilfe-zur-Selbsthilfe-Programm. Je mehr Händler nun etwas mit den Chancen des Internets anfangen können, desto erfolgreicher ist das Projekt. Man kann aber nicht erwarten, dass nun jedes inhabergeführte Geschäft das Budget hätte, einen eigenen Online-Shop rentabel zu betreiben. Selbst Präsenz in Google Maps oder auf Marktplätzen wie Amazon oder eBay ist ja für viele alles andere als selbstverständlich. Dazu braucht man Wissen. Die Interessengemeinschaften wiederum müssen heute mehr tun, als Events zu organisieren oder alle Energie auf den nächsten verkaufsoffenen Sonntag ausrichten. Sie brauchen ein Verständnis dafür, dass die digitale Stadt ein Frequenzbringer für die reale Einkaufsstraße ist.

Sie sagen der Einzelhandel sei identitätsstiftend. Dabei sehen die Innenstädte immer gleicher aus.

Haderlein: Der inhabergeführte Handel ist heute auf der Verliererseite. Das liegt nicht nur an Amazon, sondern auch an falsch entwickelten Innenstädten, Nachfolgeproblemen und Mietpreisen. Aber wer soll denn für die Aufenthaltsqualität in Stadtteilzentren, in denen immer mehr Leerstand herrscht, sorgen? Irgendwann ist der Bedarf an Cafés und Gastronomie gedeckt. Auch Nagelstudios, Discount-Bäcker und — im besten Fall — Horte und Krabbelstuben werden nur bedingt den Verlust an Flair und Charme durch fehlende Modeboutiquen, Fachgeschäfte und Szene-Stores ausgleichen können. Letztlich ist das Manifest ja auch ein Weckruf für den Verbraucher, der mit seinem Konsumverhalten auf dem Ast sitzt, an dem er sägt, wenn er zunehmend nicht lokal einkauft. Das sollte er aber nicht aus Mitleid, sondern aus Überzeugung tun. Und hier ist der Händler gefragt, der mehr tun muss, als Ware ins Regal stellen. Klar ist aber auch, mit der OCW werden Sie keinen Verbraucher ansprechen, der mit wenig Geld in der Haushaltskasse auskommen muss.

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