Begrabt mein Herz in Wuppertal Analoge Fotos, alte Schallplatten und Hoffnung

Kolumnist Uwe Becker hat auf einmal Freizeit ohne Ende.

 Uwe Becker, 1954 in Wuppertal geboren, ist Chefredakteur des Satiremagazins Italien und Mitarbeiter des Satiremagazins Titanic.

Uwe Becker, 1954 in Wuppertal geboren, ist Chefredakteur des Satiremagazins Italien und Mitarbeiter des Satiremagazins Titanic.

Foto: Joachim Schmitz

Am letzten Sonntag wollte ich Großvaters goldene Taschenuhr auf Sommerzeit umstellen. Spontan stellte ich mir vorab die makabere Frage, ob wir ab jetzt eine Stunde mehr oder weniger zu leben haben? Dann fiel es mir aber wieder ein, die Uhr wird zunächst vorgestellt, denn nur dann kann man sie im Herbst wieder zurückstellen. Aber der Herbst ist noch so weit weg, im Grunde auch der Frühling und erst recht der Sommer. Ach, könnte man doch die Zeit nicht nur um eine Stunde vorstellen, sondern direkt um drei Monate, dann wäre vielleicht alles wieder gut – endlich wieder Fußball-Bundesliga! Kleiner Scherz, nein, Fußball ist für viele Menschen gerade weit in den Hintergrund getreten.

Auf Facebook posten Freunde ihre Jugendbilder. Ich habe auch ein paar gesucht und veröffentlicht. Früher überführte man seine Fotos in Alben, wer nicht so viel Ordnungsliebe hatte, sammelte die Bilder ungeordnet in einem Schuhkarton. Wenn ich mir heute Schuhe kaufe, dann lasse ich den Karton direkt im Laden, da ich ihn für Fotos nicht mehr benötige, habe ich die Bilder ja heute auf dem PC oder auf dem Handy. Ich habe lange geglaubt, dass man den Schuhkarton tatsächlich bekommt, um darin Fotos aufzubewahren, da meine Eltern für die Schuhe zu Hause einen Schrank hatten – den Schuhschrank. Dieser Schrank stand meistens im Flur. Ich besitze heute keinen solchen Schrank, da ich nicht über so eine große Anzahl von Schuhen verfüge, dass sich eine Anschaffung lohnen würde.

Allerdings habe ich, aufgrund meines Alters, eine große Menge von analog hergestellten Fotografien, die ich tatsächlich bis vor wenigen Tagen noch in mehreren Schuhkartons aufbewahrt hatte. Ich überlege, wenn die Quarantäne verlängert wird, alle meine Fotos zu digitalisieren. Wenn Freizeit bald kein kostbares, seltenes Gut mehr ist, sondern das, was wir ohne Ende zur Verfügung haben, dann kann man die Fotoserie „Onkel Hermanns 90. Geburtstag“ auch komplett scannen und sorgfältig durch alle Bearbeitungsprogramme laufen lassen. Ich habe zunächst aber alle Fotos aus den Schuhkartons herausgenommen und in einem großen Umzugskarton zwischengelagert, das spart zwar keinen Platz, aber ich kann die vielen kleinen Kartons endlich in die blaue Tonne klopfen. Gut.

Jetzt, zu Beginn der Pandemie, höre ich zudem endlich wieder meine alten Schallplatten, die ich auf keinen Fall digitalisieren werde, da ich mir vor ein paar Monaten erst einen teuren Plattenspieler gekauft habe. Ich überlege gerade, ob ich die alten Fotos wirklich digital archivieren soll, schließlich lebe ich ja noch, und so schnell werden sich die Papierbilder schon nicht auflösen und zu Staub verfallen, hoffe ich jedenfalls. Der Umzugskarton mit den Fotos kommt jetzt einfach in den Keller. So oft schaue ich mir die alten Bilder nun auch wieder nicht an. Problem erkannt, Problem gebannt.

Die Zeit in der Quarantäne verbringe ich überwiegend hoffnungsvoll mit Lesen und Musik hören, Essen und Trinken. Vor einigen Tagen verstarb Gabi Delgado-López, der 1978 mit anderen zusammen in Wuppertal die Gruppe Deutsch-Amerikanische Freundschaft (DAF) gründete. Ich erinnere mich, als wir mit unserer Band Armutszeugnis 1981 im Club Pavillon in Hannover auftraten, dass man uns auf dem Plakat folgendermaßen ankündigte: „Armutszeugnis kommt aus Wuppertal, die Brutstätte von DAF und Fehlfarben…“. Nach dem wir alle Instrumente gestimmt, und einen Soundcheck durchgeführt hatten, gingen wir zwei Straßen weiter in ein Chinarestaurant. Als wir eine halbe Stunde vor Konzertbeginn zurück in die Halle wollten, teilte uns der Türsteher mit, die Veranstaltung wäre leider ausverkauft, wir kämen nicht mehr rein. Nach einer Weile schafften wir es dann doch und eilten in die Garderobe, um unsere schönen Kleider anzuziehen. Das Publikum hatte zwar andere Musik erwartet, war am Ende aber begeistert.

Zur derzeitigen großen Hysterie um das Toilettenpapier textete der Bandleader von Armutszeugnis, Ralf Michael Erich Streuf, schon damals sehr lustig, aber auch fast prophetisch: „Der König hat das Essen satt, im Land haut man die Töpfe platt. Weil der König noch kein Häufchen kann, hält man im Lande alle Hintern an.“

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