Lesung „Jüdische und christliche Ideen können harmonieren“

„Auge um Auge – Zahn um Zahn. Ein missverstandener Bibelvers“: Lesung in der alten Synagoge.

 Gregor Henze war in der Begegnungsstätte Alte Synagoge zu Gast.

Gregor Henze war in der Begegnungsstätte Alte Synagoge zu Gast.

Foto: Schwartz, Anna (as)

„Auge um Auge - Zahn um Zahn. Ein missverstandener Bibelvers“: Die Aufklärungsschrift des Elberfelder Rabbiners Joseph Norden hat eine vielumstrittene Bibelstelle zum Thema, die so häufig in eine antijüdische Stoßrichtung gedreht wird, wie wohl keine andere. Im Rahmen einer neunteiligen Vortragsreihe über den Antisemitismus fand am vergangenen Mittwoch eine Lesung in der Begegnungsstätte alten Synagoge in Elberfeld statt.

Anlass der Lesung ist der 150. Geburtstag des Rabbiners. 1870 geboren, hätte er diesen am 17. Juni gefeiert. Coronabedingt konnte die Veranstaltung nicht wie ursprünglich geplant an seinem Jahrestag stattfinden und wurde diese Woche nachgeholt. Die Veranstaltung war ausverkauft – durch die Notwendigkeit, Abstandsregeln und Hygienekonzepte einzuhalten, wurde die Teilnehmerzahl auf rund 15 Gäste beschränkt. Unter ihnen auch ein Kamerateam, um unter anderem auch die auf der ganzen Welt verteilten vier Enkel des Rabbiners an der Lesung teilhaben lassen zu können. Gelesen wurde von Gregor Henze, freier Schauspieler und regelmäßig auch auf den Wuppertaler Bühnen zu sehen. Er wechselte sich mit Ulrike Schrader, Leiterin der Begegnungsstätte, ab.

In kurzen Sequenzen erzählte sie aus der Biographie des Rabbiners: Geboren am 17. Juni 1870 in Hamburg, machte Norden als Klassenbester sein Abitur und studierte anschließend an der Friedrich-Wilhelm-Universität und am orthodoxen Rabbinerseminar in Berlin. Von 1907 bis 1935 war er Rabbiner in der Elberfelder Synagoge. Während dieser 30-jährigen Amtszeit veröffentlichte er drei kurze Schriften. „Auge um Auge - Zahn um Zahn“ ist eine dieser.

Eine Schrift die „zeige, wie Joseph Norden sich bemüht habe zu erklären, wie jüdische und christliche Ideen harmonisieren können, statt dass man auf Unterschiede poche“, so schrieb seine Enkelin Hanna Renning als begleitende Worte seines Werkes. So schrieb Norden, sie solle aufklärend wirken, in jüdischen und in christlichen Kreisen: „Sie ist für diejenigen, die ehrlich und aufrichtig die Wahrheit suchen.“ Veröffentlicht wurde sie vom Philo Verlag. Einem Verein, der es sich zu Aufgabe gemacht habe, über das Judentum aufzuklären, berichtet Schrader: „Dies zeigt die Notwendigkeit der Aufklärungsarbeit an. Man habe an einen gemeinsamen Weg von Christentum und Judentum geglaubt.“ Heute würde man sagen: als „Antisemitismusprävention“.

Norden sieht den Ursprung des von Missverständen und Vorurteilen geprägten Verhältnisses der Christen gegenüber dem Judentum beim fehlenden Wissen. Die häufig ausgesprochene Behauptung, die christliche Sittenlehre sei der jüdischen Sittenlehre überlegen, wird begründet mit der Behauptung „der Gott des Alten Testaments sei ein Gott der Rache, ein zürnender, strafender, grausamer rächender Gott; der Gott des neuen Testaments, der Christen, dagegen ein milder, gütiger, liebevoller, verzeihender Gott“, so Norden. Geglaubt wird dies von Christen wie auch Juden. Jedoch schildern beide Religionen Gott als einen, der rächt und straft, aber dennoch liebt. Dieses Paradoxon finde sich im alten wie auch im neuen Testament.

Norden schließt ab: „Bei einer vorurteilsfreien, objektiven Untersuchung wird dann jedermann zu dem Ergebnis gelangen, dass auf dem Gebiet der Sittenlehre Mutterreligion und Tochterreligion einander die Waage halten.“

Die Vortragsreihe wird am 30. September fortgeführt. Veranstalter der Reihe sind die Begegnungsstätte alte Synagoge, das katholische Bildungswerk, die Antisemitismusbeauftragte NRWs und die evangelische Citykirche Elberfeld. „Die Juden sind verschlagen und hinterlistig. Damals war es Friedrich oder: Antisemitismus im Deutschunterricht“ ist das Thema des nächsten Vortrags, der von Schrader gehalten wird – er ist jedoch bereits ausverkauft.

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