Begrabt mein Herz in Wuppertal Als Uwe Becker für eine Nacht Schornsteinfeger war

Unser Kolumnist bewegte sich wie ein junges Reh über die Dächer.

 Uwe Becker, 1954 in Wuppertal geboren, ist Chefredakteur des Wuppertaler Satiremagazins Italien und Mitarbeiter des Frankfurter Satiremagazins Titanic. Jeden Mittwoch schreibt er in der WZ über sein Wuppertal.

Uwe Becker, 1954 in Wuppertal geboren, ist Chefredakteur des Wuppertaler Satiremagazins Italien und Mitarbeiter des Frankfurter Satiremagazins Titanic. Jeden Mittwoch schreibt er in der WZ über sein Wuppertal.

Foto: Joachim Schmitz

Im Traum der letzten Nacht arbeitete ich in einem Beruf, den mein Sohn erlernt hat. Ausgerechnet ich, ein Mensch, dem schon schwindelig wird, wenn er im Stehen sein Haupt senkt, um zu überprüfen, ob die Schuhe schön geputzt sind. Aber es war so. Ich arbeitete als Schornsteinfeger in einem kleinen Familienbetrieb. Die Gattin meines Chefs kochte uns mittags ein Mahl aus selbstangebauten Gemüsen. Jeden zweiten Tag mit Huhn. Ihre Wohnung war direkt an den Betrieb angeschlossen. Im großen Garten, der hinter den Gebäuden angelegt war, standen vier alte Platanen, die im Sommer viel Schatten spendeten und als CO2-Filter ihre umweltfreundlichen Pflichten zuverlässig erfüllten. Unter dem Baum saß ich nach Feierabend oft mit einem Gras- oder Strohhalm im Mund, dachte nach oder träumte von einer besseren Welt. Wie man das so macht, mit so einem Halm im Mund. Ich schlief an diesem wunderschönen Platz auch regelmäßig ein, da der Beruf des Schornsteinfegers sehr anstrengend sein kann.

Aber im Traum einzuschlafen ist wieder so eine Sache, bei der ich dann auch später berichten könnte, was ich im Traum geträumt habe. Aber ich erzähle am besten nur aus meinem Traum als Schornsteinfeger, und nicht das, was ich als Schornsteinfeger geträumt habe. Wenn ich überlege, muss ich auch einräumen, dass ich mich an den Traum im Traum nicht erinnern kann. Ich habe zwar nur eine Nacht als Bezirksschornsteinfeger gearbeitet, aber es ist allerhand passiert. Klar war aber von Anfang an, ich muss eine sehr gute Ausbildung genossen haben, da ich geschickt mit dem Kehrbesen umging.

Eine Kundin, in deren Badezimmer ich kenntnisreich und souverän eine Abgasmessung vornahm, meinte, da sie mich anscheinend beim vorhergehenden Fegen auf dem Dach beobachtet hatte, ich würde in dieser schwindelerregenden Höhe so souverän wie ein Zirkus­akrobat auf dem Seil agieren. Und wie flink ich über die am Haus angelegte Leiter und dann später weiter auf der Dachleiter, bis zum Schornstein geklettert wäre. Sie würde die Art, wie ich mich bewege, an ein junges Reh erinnern. Das war natürlich ein Hammerkompliment für einen Rauchfangkehrer im fortgeschrittenen Alter.

Im Traum war ich absolut schwindelfrei. Das war ein tolles Gefühl, wie ich es im wahren Leben nicht kannte. In meinem Bezirk, es war die Wuppertaler Südstadt, wohnten nur nette Menschen, die mich auch in aller Herrgottsfrühe freundlich begrüßten, mir Tee, Kaffee, Mettbrötchen und Gebäck anboten. Ein Kundin war richtig verzaubert von mir. Nachdem ich ihren Schornstein endlos lange kehren musste, sie heizte mit einen alten Holzofen, die machen entsetzlich viel Dreck, meinte die Dame: „Sie singen bei der Arbeit dort oben so schön!“

Tatsächlich sang ich gerne das Lied, „Chim chimery, chim chimery, Chim Chim Cheri“, aus dem Mary Poppins-Film mit Julie Andrews, wenn ich die Eisenkugel und später den Stoßbesen in das schwarze Innere des Schornsteins einführte, um Pech und Ruß im Abzug zu lösen. Der Song handelt ja von einem Schornsteinfeger: „Chim chimery, chim chimery, Chim Chim Cheri, der Mann auf dem Schornstein, der hat was für Sie. Chim chimery, chim chimery, Chim Chim Cheru, er bringt Ihnen Glück und die Liebe dazu. Er ist der Mann, den wohl jeder mal braucht, wenn einmal im Haus der Schornstein nicht raucht. Junge und Alte bei uns hier im Land, die geben dem pechschwarzen Herrn gern die Hand.“

Es gibt wohl zwei Aufnahmen dieses Songs. Von Johanna von Koczian und Rex Gildo. Ich denke, meine traumhafte Version oben auf dem Dach ist die gelungenste. Mein Fazit: Mein Sohn hat Glück, sein Beruf ist schön, abwechslungsreich und zukunftssicher. Ach ja, fast hätte ich es vergessen, im Traum wurde ich von der Kanzlerin im Rahmen eines Jubiläums von irgendeinem Dachverband eingeladen. Beim Sektempfang wies ich Frau Merkel darauf hin, wenn sie mich berührte, könnte es passieren, dass ihr das Glück ewig hold sein würde. Als sie mich fragte: „An welcher Stelle ist es denn am sichersten?“, erwachte ich Gott sei Dank aus dem Traum, bevor ich es ihr verraten konnte.

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