Als Gastarbeiter gekommen, zum Wuppertaler geworden

Heute vor 50 Jahren kam Ricardo Cuesta aus Spanien zum Arbeiten nach Wuppertal. Eine spanisch-bergische Lebensgeschichte.

Wuppertal. Ungemütlich war’s auf dem Bahnhof in Elberfeld, herbstlich und kalt: „Ich war müde nach mehr als zwei Tagen Bahnfahrt“, sagt Ricardo Cuesta, „aber ich war auch sehr neugierig darauf, was mich erwarten würde.“

Vor genau 50 Jahren, am 20. Oktober 1961, kam der damals 24-jährige Spanier als Gastarbeiter in Wuppertal an und erinnert sich lebhaft an die ersten Eindrücke: „Viele Gebäude trugen noch sichtbare Zeichen des Zweiten Weltkrieges. Aber überall spürte man die Aufbruchstimmung.“ Turbulente Zeiten seien das gewesen, in Deutschland wie in Spanien: „Kurz vor meiner Abreise hörte ich im Radio, dass Walter Ulbricht den ersten Stein für die Berliner Mauer hatte legen lassen.“ Spanien hingegen litt unter Franco, die Depression hielt das Land im Griff.

Viele junge Menschen suchten ihr Glück im Ausland — und viele deutsche Unternehmen suchten gute Arbeiter. Ricardo Cuesta hatte sich von Spanien aus bei Kugelfischer beworben, als Dreher, und er kam bereits mit einem Arbeitsvertrag in Wuppertal an. Die Anfangszeit sei dennoch hart gewesen: „Ich war allein, kannte niemanden, hatte wenig Geld und meine Unterkunft war eine Art Gartenlaube — es war ein großes Abenteuer.“

Der junge Spanier fing bei Kugelfischer in der Abteilung für Achslager an und lernte dort Hermann Heinrich aus der Varresbeck kennen: „Ricardo konnte schon etwas Deutsch, ich ein paar Brocken Spanisch“, erinnert sich Heinrich, „so kamen wir uns näher.“ Auch ansonsten habe er Glück gehabt und schnell Anschluss gefunden sagt Ricardo Cuesta. Zu Kollegen, zu Nachbarn, zur katholischen Kirchengemeinde St. Ludger in Vohwinkel.

Julia Salces-Sanz folgte ihrem Mann wenig später ins ferne Wuppertal. Zuvor hatten sich die beiden per Fernhochzeit trauen lassen, im Rahmen der Familienzusammenführung: Ohne gesetzlich getraut zu sein, hätte die junge Frau nicht nach Deutschland einreisen dürfen. Und Ricardo hatte noch kein Anrecht auf Urlaub. Die Zeremonie fand auf deutscher Seite in der Elberfelder St.-Josefskirche statt — dort wurde Sohn Carlos auch später getauft — und die Braut stand zeitgleich in der Dorfkirche von Villafruela vor dem Altar. „Das war schon ein ganz außergewöhnlicher Moment“, sagt Ricardo Cuesta. „Ich war in der Kirche, ohne meine Frau, weit weg. Während der Zeremonie hatte ich mit einem Mal das Gefühl, mein Großvater würde neben mir stehen und mir Mut machen, den Weg weiter zu gehen.“

Zwei Söhne wuchsen als echte Vohwinkeler auf und gingen im Stadtteil zur Schule. Die Familie zog von der Vohwinkeler Höhe ins eigene Haus an der Haeseler Straße, und Hermanns und Ricardos Arbeitswege trennten sich irgendwann. Doch da war aus der Arbeitsgemeinschaft längst Freundschaft geworden. „Die Jahrzehnte in Wuppertal sind eine ganz wichtige Zeit meines Lebens“, sagt Ricardo Cuesta. „Nicht nur wir sind durch diese Erfahrung gereift, sondern alle, die uns auf diesem Weg begleitet haben.“

So auch Hermann Heinrich: „Die Familien haben sich besucht, wir konnten viel voneinander lernen.“ Im vergangenen Jahr hat der mittlerweile 79-Jährige seinen Freund in Lerma bei Burgos besucht. In seine kastilische Heimatstadt ist Ricardo Cuesta nach dem Ende der Berufstätigkeit 2000 zurückgekehrt. Dort hat der ehemalige Werkstattmeister nun Zeit für viele Urlaube — und zum Schrauben an seinem alten VW Käfer, den er sich als Zweitwagen gekauft hat. „Mein erstes Auto war ein Käfer, und wir haben damit unzählige Reisen nach Spanien unternommen.“

Was er in Lerma vermisst, das sind „die Wuppertaler Freunde“. Weniger so kalte bergische Oktobertage wie jenen denkwürdigen 20. Oktober 1961. „So viele Jahre sind seit seitdem vergangen“, sagt Ricardo Cuesta. „Die Mauer ist Geschichte, unsere Kinder sind erwachsen, haben eigene Familien, und wir leben wieder in Spanien. Aber ein Teil von uns ist immer in Wuppertal geblieben.“

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