Kolumne Das Leben der Farbe, erfasst von einem Verliebten

Wuppertal · In der Schau „Brücke und Blauer Reiter“ ist der russische Maler vertreten.

Alexej von Jawlensky, Mädchen mit Pfingstrosen, 1909.

Alexej von Jawlensky, Mädchen mit Pfingstrosen, 1909.

Foto: Kunst- und Museumsverein im Von der Heydt-Museum

Der russische Maler Alexej von Jawlensky (1864-1941) gehörte zum Umfeld des „Blauen Reiters“ und ist deshalb prominent in unserer neuen Ausstellung zu „Brücke und Blauer Reiter“ vertreten. Er war nach Akademiekursen in St. Petersburg und Studienjahren im Kreis des russischen Realisten Ilja Repin 1896 nach München übergesiedelt, um dort weiter Malerei zu studieren. Dort traf er bald schon auf das Künstlerpaar Wassily Kandinsky und Gabriele Münter, mit denen er gemeinschaftlich arbeitete.

Die entscheidenden künstlerischen Impulse erhielt er aber während seiner Aufenthalte 1903 bis 1907 in Paris, wo er mit der Kunst der Fauvisten, vor allem mit Matisse, in Berührung kam. „Äpfel, Bäume, menschliche Gesichter sind für mich nur Hinweise, um in ihnen etwas anderes zu sehen: das Leben der Farbe, erfasst von einem Leidenschaftlichen, einem Verliebten“, schrieb Jawlensky 1905. 

Die Auseinandersetzung mit der gesteigerten Farbbehandlung der Fauves wird auch in Jawlenskys Gemälde „Mädchen mit Pfingstrosen“ sichtbar. Von einem grellen, türkisgrünen Hintergrund umgeben, erscheint die Halbfigur eines Mädchens, vermutlich das häufiger von Jawlensky gemalte Modell Resi aus München. Die plastische Erscheinung der Gestalt tritt zugunsten einer starken Flächenwirkung der Farbe zurück. Eingefasst von breiten schwarzen Konturlinien, bestimmt das kräftige Rot der Jacke, der turbanartigen auffälligen Kopfbedeckung und des großen Blumenstraußes die Komposition. Nur die Bluse ist in hellerem Rot gehalten.

Ohne Rücksicht auf die spezielle Beschaffenheit der Kleidung versah der Maler ihren gesamten Oberkörper mit kleinen blauen Punkten, deren Farbe in der Kopfbedeckung wiederkehrt. Das Gesicht ist als einziges Detail ansatzweise modelliert. Das matte Gelb der Arme findet seine Entsprechung in der Gesichtsfarbe.

Zur Zeit der Entstehung 1909 hatte Jawlensky bereits begonnen, nur noch leichte Schatten zu setzen, um bald darauf die Gesichtsflächen vollständig in leuchtende Farbfelder aufzulösen. Der stille, in sich gekehrte Ausdruck der jungen Frau bildet einen schönen Kontrast zur expressiven Farbgebung. Gleichzeitig erinnert das Bild an das geheimnisvolle Funkeln traditioneller Glasmalereien, an Volkskunst und an alte Ikonenbilder.

Nachdem Jawlenskys „Mädchen mit Pfingstrosen“ schon im Jahr seiner Entstehung in einer Präsentation der „Neuen Künstlervereinigung München“ ausgestellt war, galt es 1910 als eines der Hauptwerke der Sonderbund-Schau in Düsseldorf. Kurz darauf schenkten der Künstler Adolf Erbslöh, der mit Jawlensky befreundet war, und Wladimir Bechtejeff es dem Barmer Kunstverein. Dies war ein geschickter Schachzug der Künstler und des damaligen Vorsitzenden des Kunstvereins Richart Reiche, denn gegen ein Geschenk konnten die Kritiker, die den Farbexplosionen der Expressionisten mit Empörung begegneten, nichts einwenden.

So gehört das Bild heute zu einem der absoluten Stars der Von der Heydt-Sammlung. In unsere derzeitige Ausstellung „Brücke und Blauer Reiter“ ist es eingebettet in den Raum, der den Künstlerpaaren gewidmet ist. Genau wie Münter und Kandinsky waren Jawlensky und Marianne von Werefkin ein Paar, das sich gegenseitig künstlerisch befruchtete, wie man in den leuchtenden Bildern unschwer erkennen kann.

Übrigens gibt es nun im Von der Heydt-Museum einen neuen Musicguide. Auch zu Jawlenskys „Mädchen mit Pfingstrosen“ findet man einen musikalischen Beitrag, den man sich auf unserer Website anhören kann.

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