Kriminalfall Aldi-Räuber nahm Geiseln

Täter wollte eine Sexualtherapie finanzieren.

Dieser Räuber war kein Profi. Am 22. November 1986 betritt ein arbeitsloser Maurer den Aldi-Markt an der Farbmühle mit gezogener Waffe. Er trägt keine Maske, hat kein Fluchtauto und ist sich nicht bewusst, dass direkt nebenan das Polizeipräsidium zu finden ist. Schließlich kennt der Krefelder sich in Wuppertal gar nicht aus und hat nur einen Aldi-Markt gesucht, in dem sich die günstige Gelegenheit für einen Überfall ergibt. Bereits zwei Mal war der 39-Jährige mit dieser Vorgehensweise erfolgreich. Im Juni war er schon mit 70 000 Mark aus einem Düsseldorfer-Aldi-Markt marschiert. Kurz vor der Tat in Wuppertal erleichterte der Räuber eine Aachener Filiale um 11 000 Mark. Doch an diesem Samstag um 13.15 Uhr sollte es nicht so einfach werden, dieses Mal wird der Maurer zum Geiselnehmer.

Mit der Tageseinnahme von 27 000 Euro trifft der Kriminelle im Eingangsbereich auf einen Polizeibeamten, der von Passanten auf komische Vorgänge im Aldi-Markt aufmerksam gemacht wurde. Der Beamte feuert acht Schüsse ab, der Maurer schießt zwei Mal zurück. Nach dem ungeplanten Schusswechsel verschanzt sich der Täter, der von Zeugen als schüchtern bezeichnet wird, im Aldi-Markt. Vier Verkäuferinnen und drei Kunden schließt er im Lager ein.

Erstmal läuft die Kommunikation zwischen Polizei und Geiselnehmer nur über Zurufe durch ein geöffnetes Fenster. Erst um 19 Uhr legen die Beamten eine Standleitung in den Supermarkt. Der 39-Jährige fordert 100 000 Mark, ein Fluchtfahrzeug, Masken und Trainingsanzüge.

Langsam merken die Polizeibeamten, dass sie es mit einem Täter zu tun haben, den sie – so der O-Ton von damals – „weichkochen können“. Der Geiselnehmer lässt erst einen Zwölfjährigen frei, dann zwei Frauen mit Gesundheitsproblemen. Um 0.30 Uhr will der Geiselnehmer wissen, ob er mit einer „milden Strafe“ rechnen kann. Um 3.20 Uhr ergibt er sich.

Zwei Jahre später beginnt der Prozess. Dabei kommt ans Tageslicht, dass der Krefelder offenbar 100 000 Mark für eine Sexualtherapie gegen seine „abnormalen Neigungen“ gebraucht hat. Er sagt vor Gericht aus, dass er Angst gehabt habe, dass seine Fantasien stärker werden und er ein zweiter Jürgen Bartsch werden könnte – ein pädophiler Serienmörder.

Die Strafkammer hinterfragt dieses Motiv kritisch, schließlich habe der Angeklagte weder Schritte für eine günstigere Behandlung eingeleitet, noch die 70 000 Mark aus dem Düsseldorfer Überfall auf die hohe Kante gelegt. Zu der „milden Strafe“ kommt es auch deshalb nicht, weil der Täter die bis zuletzt in seiner Gewalt verbliebenen Aldi-Mitarbeiterinnen in der letzten Stunde der Geiselnahme noch mit den Schilderungen seiner sexuellen Fantasien belästigte. Ein Gutachter bescheinigt dem Angeklagten eine volle Schuldfähigkeit. Das Urteil lautet: 15 Jahre Haft.

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