Aktion Rent a Jew - Juden zu vermieten!

Wuppertal · Lisa Scheremet (38) lässt sich buchen. Die Wuppertalerin will mit Vorurteilen gegen ihr Volk aufräumen.

 Die Bergische Synagoge an der Gemarker Straße.

Die Bergische Synagoge an der Gemarker Straße.

Foto: Schwartz, Anna (as)

Die Frage nach dem Warum stellt sich Lisa Scheremet eigentlich schon lange nicht mehr. Die Antwort ist einfach zu selbstverständlich. Warum? „Weil es notwendig ist.“ Es ist notwendig, dass sie notfalls in die Höhle des Löwen geht. Es ist notwendig, Gegenrede zu halten, mit Vorurteilen aufzuräumen, dummen Sprüchen entgegenzutreten, es ist notwendig, nicht zu schweigen. Deshalb lässt Lisa Scheremet sich mieten. Schulklassen können sie anfordern, Volkshochschulkurse, Kirchengemeinden. Scheremet geht hin und spricht. Sie spricht über sich, die Jüdin.

Rent a Jew, Juden zu vermieten, gibt es seit gut zwei Jahren. Das ehrenamtliche Projekt der Europäischen Janusz Korczak Akademie besiert auf ehrenamtlicher Arbeit von etwa 100 Juden in Deutschland. Ihr Ziel ist, Hass und Missgunst durch Information zu bekämpfen. Was ist Judentum heute? Was hat die Realität mit Gerüchten und Geschichten gemeinsam. Für Lisa Scheremet gab ist nicht den Hauch eines Zweifels, dass sie sich daran beteiligt.

Die Realschullehrerin für Geschichte, Politik, Technik und Deutsch lebt er seit ein paar Monaten in Wuppertal. Davor hat sie in Berlin unterrichtet und in der Nähe von Hamburg. Ihre Lebensgeschichte ist die vieler Juden in Deutschland. Geboren in Moskau, mit den Eltern ausgereist als sie zehn Jahre alt war, weil Juden in der Sowjetunion nichts zu lachen hatten, weil der Glaube, die Religionszügehörigkeit den Weg zur beruflichen Karriere versperrte. „In der Sowjetunion durften nur fünf Prozent eines Studienjahrgangs Juden sein“, sagt Scheremet. Das und die Drangsal des Alltags waren Gründe für ihre Eltern, in Deutschland neu anzufangen. „Ich bin froh“, sagt Lisa Scheremet.

 Lisa Scheremet will mit Vorurteilen gegen Juden aufräumen.

Lisa Scheremet will mit Vorurteilen gegen Juden aufräumen.

Foto: Lisa Scheremet

Glücklich ist sie auch, aber nicht immer. Zu regelmäßig begegnet sie Antisemitismus. Witze, dumme Sprüche, Vorurteile, leicht dahingesagter Unsinn, sie gibt sich dann als Jüdin zu erkennen. „Dann heißt es, ich sei ja nicht gemeint gewesen.“ Machmal hört sie auch den Satz: „Sie? Jüdin? Sie haben ja gar keine Hakennase?“ Oder: „Dann sind Sie ja bestimmt reich.“ Zuletzt hörte sie, wie ein kroatischer Junge einen polnischen mit der Behauptung konfrontierte, der Pole sei bestimmt Jude. Das hat Scheremet nicht gestört. Dass der junge Pole sich beleidigt fühlte, hingegen schon.

Gespräche in Schulen, VHS-Kursen und Kirchengemeinden

Im Gespräch erweckt Lisa Scheremt den Eindruck, viel Humor zu haben, aber über solche Plattitüden kann sie nicht lachen. Die junge Frau ist sicher, dass pures Nichtwissen hinter solchen Sätzen steckt, Nichtwissen und Vorurteile. Deshalb geht sie in Schulen, VHS-Kurse und Kirchengemeinden, deshalb weicht sie keinem Gespräch aus.

Die Zeiten sind wieder schwieriger geworden für Juden in Deutschland. Die Hasser hat es hier immer schon gegeben, mal mehr, mal weniger. Die alten Männer, die unverhohlen fragen, warum „ein paar Steine an der Gemarker Straße in Barmen bewacht“ werden müssen. Sie kennen die Antwort. Es ist die Adresse der Bergischen Synagoge. Das Haus ist ihnen ein Dorn im Auge.

Neu sind die Konflikte, die mit der Migration nach Deutschland importiert werden. Der Nahe Osten brodelt, Palästinenser, Syrer und andere Vertreter arabischer Völker leben seit Generationen im Krieg mit Israel, dem die Vereinten Nationen 1948 ein Stück Land zugewiesen haben, Erde, die auch Palästinenser für sich beanspruchen. Frieden kennt Israel nicht. Die Folgen sind jetzt auch in Deutschland spürbar.

Der Vorsitzende des Zentralrates der Juden, Josef Schuster, ist ein äußerst selbstbewusst und sicher wirkender Mann. Nichts, so hat es den Anschein, kann den stattlichen Herrn mit dem dichten weißen Haar aus der Fassung bringen. Aber der Schein trügt. Die Übergriffe auf Juden in Deutschland sind auch am Präsidenten des Zentralrates nicht spurlos vorüber gegangen. „Ich würde Einzelpersonen davon abraten, sich offen mit einer Kippa in deutschen Großstädten zu zeigen“, sagte er im vergangenen Jahr.

Für Lisa Scheremet ist das ein weiteres Alarmsignal und etwas, das sie in ihrem Handeln bestätigt. Also geht sie weiter in die Schulklassen, mischt sich ein und lässt sich fragen. Was? „Alles. Alles ist erlaubt, jede Frage. Es gibt kein Tabu“, sagt sie. „Wir sind orthodox, wir sind säkular, wir sind tradionell, wir sind ganz normale Menschen. Das sind die Antworten.“

Wo Wissen anfängt, hört Hass auf. Das ist die Hoffnung.

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