ADHS: Warum Psychopharmaka keine Lösung für Kinder sind

Etwa fünf Prozent aller Kinder sollen unter ADHS leiden. Kinderärztin Ruth tom Dieck betreut viele in ihrer Wuppertaler Praxis.

Wuppertal. Ruth tom Dieck arbeitet als Kinderärztin in Wuppertal und ist Mitbegründerin des Vereins ADHS Team Wuppertal. Er unterstützt Familien, deren Kinder unter dem Aufmerksamkeits-Defizit-Hyperaktivitäts-Syndrom (ADHS) leiden. In der kommenden Woche bietet der Verein in Barmen einen ADHS-Infotag an. Vorab sprach die WZ mit tom Dieck über die Krankheit und ihre Folgen.

tom Dieck: Ja, das stimmt. In meine Praxis kommen in der Woche durchschnittlich zwei Kinder, bei denen ich in die Diagnose einsteige. Zwei Drittel der Betroffenen sind Jungen, ein Drittel Mädchen. Das liegt auch daran, dass Mädchen nicht unbedingt durch Hyperaktivität auffallen, sondern durch verträumtes Verhalten.

tom Dieck: Nein, aber es gibt mehrere anerkannte Tests. Je umfangreicher die sind, desto sicherer kann ich eine Diagnose stellen. Das lässt sich aber nicht an einem Tag abwickeln. Ich muss mir das Kind und sein Umfeld umfassend anschauen und mit allen Beteiligten sprechen - auch mit den Lehrern. So lässt sich vermeiden, dass Eltern falsche Angaben machen, weil sie unbedingt Medikamente für ihr Kind wollen.

tom Dieck: Nur etwa die Hälfte - bei den anderen steckt etwas anderes dahinter. Oft fehlt den Eltern zum Beispiel das Verständnis dafür, wie ihr Kind eigentlich lernt. Oder das Kind ist in seiner Entwicklung verzögert oder wächst in einem sozial schwer belasteten Umfeld auf.

tom Dieck: Wenn die Kinder motorisch unruhig sind und stärker als alle anderen Altersgenossen Schwierigkeiten haben, sich in Gruppen einzufügen. Wenn die Kinder im Alltag scheitern, es zum Beispiel nicht schaffen, die Jacke aufzuhängen oder ihre Hausaufgaben aufzuschreiben und mehr als andere in die Schulklasse brüllen.

tom Dieck: Nur etwa 50 Prozent der Kinder mit ADHS müssen von Anfang an mit Medikamenten behandelt werden. Sie müssen aber dann eingesetzt werden, wenn ein Schulverweis droht oder das Kind schwere soziale Konflikte hat.

tom Dieck: Ruhiggestellt werden sollen Kinder auf gar keinen Fall. Wenn das passiert, sind sie überdosiert. Leider gibt es viele Länder, wo unglaublich viel verordnet wird und die Medikamente auch unter der Hand abgegeben werden.

tom Dieck: Ja, das stimmt. Auch hier nimmt das extrem zu. Darum ist es ja so wichtig, die Diagnostik vernünftig zu machen. Wenn Sie Familien sehen, wo Familien- und schulischer Alltag endlich zum ersten Mal vernünftig ablaufen, ohne Streit und Frust, dann wissen Sie ganz genau, dass die Wirkung positiv ist.

tom Dieck: Die Diagnostik hat sich verbessert. Aber auch der Leistungsdruck hat zugenommen, so dass Eltern mit ihren Kindern bei Auffälligkeiten früher zum Arzt gehen.

tom Dieck: Natürlich müssen auch gesellschaftliche Einflüsse berücksichtigt werden. Trennungsfamilien zum Beispiel. Die Frage ist, wer kümmert sich eigentlich um das Kind? Hat das Kind Strukturen gelernt? Das spielt alles eine ganz große Rolle. Zudem werden Kinder überbehütet und das manchmal auf die falsche Art. Die Kinder können keine Freiheiten mehr entwickeln und Eltern haben das Gefühl dafür verloren, was ihr Kind braucht, um sich gut zu entwickeln.

tom Dieck: Der Verein ist aus einem Arbeitskreis entstanden, der Therapien anbietet, Konzentrationstraining für die Kinder und Training für die Eltern - was ich für ein wichtiges Standbein bei der Behandlung halte. Wir wollen Geld sammeln, um Kinder und Eltern zu fördern. Viele Eltern können sich ein Elterntraining oder eine Freizeit für ihr Kind gar nicht leisten. Mein Traum ist es, eine Freizeit für betroffene Eltern und Kinder anzubieten, die von Therapeuten begleitet wird. Zudem wollen wir Fortbildungen in Kindergärten oder Schulen anbieten.

tom Dieck: Nein. ADHS ist kein Intelligenzproblem. Die Kinder müssen für sich einen individuellen Weg finden. Sie sollten einen Beruf wählen, der ihren Fähigkeiten entspricht. Man darf auf keinen Fall vergessen, dass Kinder mit ADHS Stärken haben. Sie sind phantasievoll und hyperfokussiert, können zum Beispiel leidenschaftliche Vorträge zu einem bestimmten Thema halten. Das ist toll - das müssen wir fördern.

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