75 Jahre Barmer Erklärung: Rückblick ohne Verklärung

Zum 75. Jahrestag des Manifests ging es den Rednern auch um die wahren Motive der Bekennenden Kirche.

Wuppertal. Die Wuppertaler Kirchengeschichte besitzt ihre Mythen, aber zum Glück auch ihre klugen, klaren Köpfe, die derlei Mythen äußerst besonnen hinterfragen. Vielfach verbrämt ist auch die Barmer Theologische Erklärung. 75 Jahre nach der Bekenntnissynode vom 29. bis 31. Mai 1934 luden Wuppertaler Christen am vergangenen Freitag zur Gedenkfeier in jenes Gotteshaus an der Zwinglistraße, in dem Weichen für ganz Deutschland gestellt wurden.

Es war eine sehr schöne, würdevolle Feierstunde ohne Schnörkel, dafür mit denkwürdigen Reden. Allein Nikolaus Schneider, Präses der Evangelischen Kirche im Rheinland, gab in seiner Analyse dessen, was denn eigentlich die Christen bei jener Synode bewegte, ein vorbildliches Beispiel für ein Gedenken abseits von Verzerrungen und Beschönigungen.

Angriffspunkt der Barmer Erklärung sei nicht der NS-Staat als solcher gewesen, erinnerte Schneider. Vielmehr sei es damals vorrangig um eine kritische Auseinandersetzung mit den Deutschen Christen und ihrer Gleichschaltungspolitik gegangen. "Tatsächlich gab es in dieser Versammlung auch Leute, die dem Nazi-Staat wohlgesonnen waren", betonte Schneider. Falsch sei es also, die Bekenntnissynode als einen beherzten Aufschrei gegen den Terror der NS-Diktatur zu interpretieren.

Am Rande beleuchtete Schneider führende Köpfe der Bekenntnissynode, darunter Karl Barth, der "sich selbst immer wieder als Federführer" dargestellt und damit ein Zerrbild der Synode vorbereitet habe. Schneider erinnerte auch an Barths Briefwechsel mit Charlotte von Kirschbaum und das darin niedergelegte Zeugnis, dass sich Barth von der Barmer Zusammenkunft gar keinen Beschluss erhofft hatte.

Dass Barth mit der Empfängerin der Briefe eine außereheliche Liebesbeziehung unterhielt, verschwieg Schneider - wie überhaupt am Freitagabend der Eindruck entstand, dass so manche Frage auch von heutigen Christen ignoriert wird.

Beherzt stellte dagegen Superintendent Manfred Rekowski die Frage, was denn eigentlich Widerstand in unseren Tagen bedeute und ob es nicht erstaunlich sei, dass mit Leichtigkeit Milliarden für die Rettung von Banken bewegt würden, nicht aber für die Beseitigung des Elends in der Dritten Welt. NRW-Landtagspräsident Regina van Dinther verzichtete auf einen Kommentar und erinnerte - durchaus zu Recht - an die traumhafte Demokratie, in der wir 75 Jahre nach der Barmer Erklärung leben.

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