Forensische Nacht Wo die Toten Hosen auf reale Tötungsfälle stoßen

Düsseldorf · Interview Bei der Forensischen Nacht zeigen Rechtsmediziner und Kriminalbeamte, wieviel die Ermittler-Figuren aus Film- und Fernseh-Krimis mit der Realität zu tun haben. Wir sprachen mit Stefanie Ritz-Timme, Leiterin der Rechtsmedizin der Heinrich-Heine-Universität.

 Stefanie Ritz-Timme mit einer „Leiche“ auf der Bühne.

Stefanie Ritz-Timme mit einer „Leiche“ auf der Bühne.

Foto: ja/si

Wenn alle 600 Karten für eine Veranstaltung innerhalb von fünf Stunden vergriffen sind, dann muss es sich schon um ein besonderes Ereignis handeln. Die zehnte Forensische Nacht am 23. November im Hörsaal 3A der Universität ist ein solches. Dabei steht da eine Laien-Schauspielergruppe auf der Bühne. Die ist allerdings hochkarätig, denn sie besteht aus echten Rechtsmedizinern und Kriminalisten. Professorin Stefanie Ritz-Timme, die Leiterin der Rechtsmedizin an der Uni,  sprach mit der WZ, warum die Toten Hosen diesmal eine große Rolle spielen.

Frau Ritz-Timme. Wie ist die Idee zur „Forensischen Nacht“ entstanden?

Stefanie Ritz-Timme: Ich bin Mitglied des Rotary Clubs Düsseldorf-Kaiserpfalz, der vor zehn Jahren gegründet wurde. Die Idee des Clubs ist es, Gutes zu tun, aber nicht einfach Geld zu spenden, sondern es gilt das Prinzip „Hands on“. Das heißt, das Geld soll erarbeitet werden.
Wir hatten vorher schon mal beim Tag der offenen Tür der Universität in die Rechtsmedizin eingeladen. Da haben wir Szenen aus Tatort-Folgen vorgeführt und dann gezeigt, wie echte Rechtsmediziner und Kriminalisten wirklich vorgehen würden.
Das Interesse war riesengroß, die Besucher standen bis auf den Flur. Da habe ich mir gedacht, dass Leute auch Geld dafür bezahlen würden. So entstand die erste Forensische Nacht. Damals noch ganz klein im Amts- und Landgericht.

Das Motto ist diesmal „Tötung ‚Aus Liebe’ und Blutspritzer an der Wand“. Das hört sich spannend an...

Ritz-Timme: Dazu muss ich sagen, dass ich beim Joggen immer die Toten Hosen höre. Bei dem  Lied „Alles aus Liebe“ fiel mir auf, dass der Text sehr gut beschreibt, wie sich eine solche Tat entwickelt. Von Strophe zu Strophe wird erzählt, wie sich Eifersucht und Verlustängste steigern, der Mann immer besitzergreifender wird und am Ende sich und die Frau umbringt. Den Begriff erweiterter Suizid lehne ich übrigens ab. Das ist verharmlosend. Denn so etwas ist immer eine Tötung. Und mit Liebe hat das auch nichts zu tun. Darum haben wir „Aus Liebe“ auch in Anführungszeichen gesetzt. Das ist ein Teil des Abends.

Und dann fließt Blut?

Ritz-Timme: Nur Theaterblut. Da geht es um einen Mord ohne Leiche. Das ist ein klassisches Krimi-Thema. Dazu haben wir einen Filmausschnitt aus einem „Tatort“, bei dem aus Blutspritzern an der Wand „gelesen“ wird. Wir erklären dann an einem echten Düsseldorfer Fall, was man wirklich aus solchen Spuren ablesen kann und wie das funktioniert. In einer ‚Forensischen Nacht’ habe ich übrigens mal Professor Börne aus dem Münster-Tatort auseinander genommen. Der hatte bei einem Mann nur das Augenlid gehoben und festgestellt, der sei höchstens zehn Minuten tot. Tatsächlich hätte er dann sofort versuchen müssen, die Person zu reanimieren. Am Ende möchte ich, dass die Leute schlauer sind, wenn sie raus gehen. Meine Schwester sagt immer, dass sie Krimis jetzt ganz anders guckt.

Die Forensischen Nächte haben aber auch einen Unterhaltungswert.

Ritz-Timme: Das ist wie eine Achterbahn-Fahrt zwischen lustig und ernst. Wir sprechen auch ernste Themen wie Kindesmisshandlung oder Vergewaltigung an. Das wird dann aber auch immer wieder aufgelöst. Wir haben Musik und viel Spaß auf der Bühne. Dafür sorgen dieses Mal die Freien Schwestern Duisburg im Stil von „Sister Act“. Die Chefin ist auch eine Kriminalhauptkommissarin. Die ‚Forensische Nacht’ gibt es übrigens nur bei uns.

Wer ist wir?

Ritz-Timme: Neben mir besteht das Hauptteam aus meiner Kollegin Britta Gahr und den beiden Kommissaren Udo Moll und Andreas Fritsch. Wir sind inzwischen ein eingespieltes Team und müssen nicht proben. Durch den Abend führt Annette Bosetti, die auch Mitglied im Rotary Club ist. Dazu kommen aber noch ungefähr 40 Helfer, die uns unterstützen, Wein verkaufen oder die Technik machen.

Was geschieht mit den Einnahmen?

Ritz-Timme: Wir unterstützen das Projekt ‚Extra für Kinder’ der Düsseldorfer Frauenberatungsstelle. Das Projekt kümmert sich um Kinder, die in ihrer Familie Gewalt erlebt haben.
Insgesamt haben wir mit den Veranstaltungen schon über 100 000 Euro eingenommen. Diesmal machen wir erstmals ein bisschen Merchandising. Wir haben Kaffeetassen und auch Kochschürzen.

Hat die ‚Forensische Nacht’ auch eine Außenwirkung?

Ritz-Timme: Viele junge Leute interessieren sich für das Thema. Wir haben keine Nachwuchssorgen, obwohl es elf Jahre dauert, bis man Rechtsmediziner wird. Nach den sechs Jahren Medizinstudium folgen noch fünf weitere Jahre, um Facharzt zu werden. Das ist auch notwendig, denn was wir bei der ‚Forensischen Nacht’ zeigen, ist nur ein kleiner Teil unserer Aufgaben.
Wir untersuchen auch Lebende nach Gewalttaten, zum Beispiel Opfer häuslicher Gewalt und auch misshandelte Kinder, wir machen Spurenuntersuchungen und Vaterschaftsgutachten, wir untersuchen Blutproben auf Alkohol oder Drogen, wir machen Altersschätzungen bei Kinderpornos und vieles mehr. Das erfordert eine umfassende Ausbildung.

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