Corona in NRW Wie Wissenschaftler den Lockdown abschaffen wollen

Update | Düsseldorf · Der Lockdown könnte in Kürze abgesagt werden, meinen Wissenschaftler. Forscher verschiedener Disziplinen - auch aus Wuppertal und Düsseldorf - haben dafür ein Konzept erdacht.

 Wissenschaftler glauben, dass 8,5 Millionen Corona-Tests täglich die Trendwende bringen können.

Wissenschaftler glauben, dass 8,5 Millionen Corona-Tests täglich die Trendwende bringen können.

Foto: dpa/Sebastian Gollnow

Wissenschaftler aus der Epidemiologie, Informationstechnologie und Wirtschaftsforschung haben sich für mindestens 8,5 Millionen Corona-Tests pro Tag in Deutschland ausgesprochen. Eine massive Ausweitung kostenloser oder günstiger Tests könnte nach ihrer Überzeugung - in Verbindung mit einem professionellen digitalen Zertifikat zum Freitesten - den Lockdown überflüssig machen und eine dritte Infektionswelle verhindern.

Der Spitzenwert habe 2020 in Deutschland bei nur 1,6 Millionen Tests pro Woche gelegen, kritisierte der Präsident des Europäischen Instituts für Internationale Wirtschaftsbeziehungen der Universität Wuppertal, Paul Welfens am Dienstag in Düsseldorf. Gemeinsam mit dem Epidemiologen Ralph Brinks von der Universität Witten/Herdecke und dem Marburger Informatiker Alexander Markowetz stellte der Wirtschaftsprofessor ein gemeinsames Konzept für einen Ausweg aus den coronabedingten Einschränkungen vor.

Der erste Lockdown zu Beginn der Pandemie sei noch notwendig gewesen, sagte Markowetz. „Alles, was Sie danach gesehen haben, war selbst verursachter Schmerz. Die gesamten Nachwehen seit Juli letzten Jahres sind eine Kette von Digitalisierungsversagen“.

Beim Testen müsse Deutschland schnellstens wenigstens auf das Niveau Dänemarks kommen, forderte der Wuppertaler Wirtschaftsprofessor Paul Welfens. Dort werde neun Mal mehr getestet. „Wir bewegen uns genau in die falsche Richtung.“

Die Wissenschaftler warben für ein Digital-Zertifikat, das frisch Freigetesteten erlauben könnte, sich damit für einige Stunden frei zu bewegen und an wirtschaftlichen, sozialen, kulturellen und sportlichen Aktivitäten teilzunehmen, wenn sie das Dokument auf ihrem Mobiltelefon präsentieren. Fälschungen seien scharf zu bestrafen, heißt es in dem Konzept. Positiv Getestete müssten umgehend in Quarantäne - und zwar in Quarantäne-Hotels, nicht zuhause mitten in die eigene Familie. „Das funktioniert nicht“, sagte Welfens.

Eine breite Test-Strategie hätte seinen Berechnungen zufolge im ersten Halbjahr 2020 etwa 0,8 Prozent des deutschen Nationaleinkommens gekostet und im zweiten Halbjahr nur noch 0,2 Prozent. „Ein Monat Lockdown kostet aktuell circa ein Prozent des Nationaleinkommens - 34 Milliarden Euro“, hielt der Wirtschaftsprofessor dagegen.

Epidemiologe Brinks sagte, es müsse mit Corona-Mutationen gerechnet werden, gegen die die vorhandenen Impfstoffe nicht wirkten, so dass jetzt Strategien für eine Rückkehr zu einer gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Normalität entwickelt werden müssten - auch für den Fall, dass das Coronavirus hier heimisch werde. Massentests plus Freitest-Zertfikat könnten auf diesem Weg die Trendwende bringen.

Welfens kritisierte, in NRW gebe es noch Dutzende Städte ohne Testzentrum: „Das kann so nicht bleiben.“ Völlig falsche Anreize würden gesetzt, wenn an Testzentren - wie etwa am Hauptbahnhof Düsseldorf - PCR-Tests für 75 Euro angeboten würden. „Das ist Wucher“, sagte der Wirtschaftswissenschaftler.

Bei Freitest-Zertifikaten dürfe Deutschland nicht wieder auf schlecht funktionierende Apps setzen. „Das ist lebensgefährlich“, warnte Welfens. Stattdessen sollte NRW als „das europäische Bundesland“ mit den Niederlanden, Belgien, Luxemburg und anderen Nachbarländern einen gemeinsamen digitalen Weg suchen. Wenn alles richtig gemacht werde, könne der Lockdown in zwei Wochen beendet und ein beschleunigter Wirtschaftsaufschwung ermöglicht werden, „den wir unbedingt brauchen“, sagte Welfens.

Der Oppositionsführer im NRW-Landtag, Thomas Kutschaty, der die Wissenschaftler in die SPD-Landtagsfraktion eingeladen hatte, appellierte an die Ministerpräsidentenkonferenz, am Mittwoch entsprechende Konzepte mit klaren Perspektiven vorzulegen. Frühes, flächendeckendes Testen mit Freitest-Zertifikaten sei ein entscheidendes Element für ein Sicherheitsnetz und könne ein „deutlichen Befreiungsschlag aus der Krise sein“, sagte er.

(dpa)
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