Landespolizeipfarrer Ein Seelsorger für Kinderseelen-Retter

Düsseldorf · Als Polizeipfarrer betreut Dietrich Bredt-Dehnen auch die Ermittler für Kinderpornografie im LKA – und ab August Nicht-Polizisten, die dort sofort am tiefsten Abgrund arbeiten.

 Landespolizeipfarrer Dietrich Bredt-Dehnen begleitet Polizisten, damit sie ihren Dienst für die Gesellschaft leisten können.

Landespolizeipfarrer Dietrich Bredt-Dehnen begleitet Polizisten, damit sie ihren Dienst für die Gesellschaft leisten können.

Foto: Juliane Kinast

Wenn Dietrich Bredt-Dehnen erklärt, welchen Belastungen die Kinderpornografie-Spezialisten im Landeskriminalamt (LKA) ausgesetzt sind, dann versteht man, warum das Thema da richtig ist, wo es gerade steht: im hellsten Licht der Öffentlichkeit. Diese Ermittler, sagt er, sind Tag für Tag Zeuge, wenn Kinder vergewaltigt werden. Sie müssen ansehen, wie kleine Seelen systematisch zerstört werden. Dass ihre eigenen Seelen das überstehen, ist der Job von Dietrich Bredt-Dehnen als Landespolizeipfarrer.

Der 61-Jährige war fast ein Vierteljahrhundert lang Gemeindepfarrer in Wuppertal-Sonnborn. Dann hatte er das Gefühl, eine neue Herausforderung zu brauchen. Seit neun Jahren leitet er nunmehr das Team der evangelischen Polizeiseelsorge in Nordrhein-Westfalen. Das Angebot ist gewachsen aus der Überzeugung der Kirche, die besonderen Anforderungen an Polizisten im Dienste der Gesellschaft brauchten besondere Begleitung. Als „kritische Solidarität“ beschreibt Bredt-Dehnen das Verhältnis zur Polizei.

Was die Spezialisten als belastend empfinden, ist subjektiv

Besondere Anforderungen und Belastungen indes erlebt der Polizeipfarrer nicht nur bei den Kinderporno-Ermittlern. Jeder Beamte habe belastende Momente in seinem Arbeitsalltag – Fälle häuslicher Gewalt, das Überbringen einer Todesnachricht, Anfeindungen.

Und jeder lebt zusätzlich mit dem Berufsrisiko, irgendwann der erste Streifenwagen am Ort eines Amoklaufs oder Terroranschlags zu sein – inzwischen gilt die Direktive: Gewartet auf Spezialkräfte wird nicht, der erste Polizist vor Ort muss rein. Die Seelsorger sind schon in die berufsethische Ausbildung junger Kommissare eingebunden, um sie auf solche Ernstfälle vorzubereiten und darauf, verletzte Menschen liegen zu lassen, um als Erstes das Töten zu stoppen. „So etwas war früher nicht Thema für die Polizei“, berichtet Bredt-Dehnen. Eine sich verändernde Gesellschaft verändert auch die Herausforderungen für die Sicherheitskräfte.

Was sich auch ändert, ist, dass über die Herausforderungen gesprochen wird. Dass diese Offenheit nicht immer Usus war, rächt sich: Der Polizeipfarrer erlebt nicht selten hartgesottene Beamte mit drei Jahrzehnten Berufserfahrung – „dann kommt eine Kleinigkeit obendrauf und sie sind weg vom Fenster, aber so richtig“. Schwerste psychische Krisen seien mitunter die Folge.

Wichtig sei, sagt Bredt-Dehnen, für Belastungen auch zeitnah Entlastungen zu schaffen. Und bei den Belastungen seien die Kinderporno-Ermittler innerhalb der NRW-Polizei sicher „sehr weit oben“. Er versuche, ihnen zu vermitteln: „Jedes Bild, das ihr seht, legt sich Schicht für Schicht in euch ab, wenn ihr es nicht von eurer inneren Festplatte runterbekommt.“ Das sei wie bei Leistungssportlern, die Pausen zur Regeneration brauchten.

Was genau an der Arbeit als belastend empfunden wird, ist laut dem Seelsorger sehr subjektiv. Gefährlich sei immer, wenn von den Bildern Brücken ins eigene Leben geschlagen werden. Ein Schultornister zu sehen beispielsweise, den die eigene Tochter auch hat. „Dann wird es sehr, sehr schwierig.“ Für viele sei „der Datenberg, der sich hinter ihnen auftürmt“ eine extreme Belastung. Der ständige Hintergedanke: In diesem Material könnte sich ein schwerer aktueller Missbrauch verbergen – aber ich komme in den nächsten zwei Jahren nicht einmal dazu, es mir anzusehen. Die beschlagnahmte Datenmenge übersteigt derzeit bei Weitem die Auswertekapazitäten der NRW-Ermittler.

Mal ist es gerade die Tonspur mit Schreien, Weinen, Betteln der Kinder, die sie schwer ertragen. Mal aber gerade, wenn das Kind sich gar nicht wehrt, sondern der Missbrauch erkennbar zu dessen Alltag gehört, es bereitwillig mitmacht. „Viele sagen: Da kriege ich das Kotzen – und das kann ich gut verstehen“, sagt Bredt-Dehnen. Denn da werde die vollkommene „Zerstörung von Kinderseelen“ offenbar. Die „perfiden Täterstrategien“, die den Opfern suggerieren, das Falsche, das ihnen angetan wird, sei richtig. Er sei überhaupt nicht überrascht, dass der Täter von Lügde so lang unerkannt blieb, sagt der Polizeipfarrer, dass er als lieber Onkel statt als Monster gesehen wurde.

Nerds sind hier nicht gefragt, sondern perfekte Teamplayer

Wichtig ist laut Bredt-Dehnen, dass die Ermittler gut vorbereitet sind. „Diese Arbeit ist potenziell traumatisierend“, erklärt er. „Wann man sich das Material einfach ansieht, überflutet es einen – und dann ist man in kürzester Zeit durch.“ Die Spezialisten müssten Signale ihres Körpers erkennen lernen und Strategien zur Entlastung finden. Das gilt insbesondere jetzt für die Nicht-Polizisten, die das Land für die Auswertung der Datenberge eingestellt hat und die nicht in einer Beamtenlaufbahn allmählich an Leid und Gewalt gewöhnt wurden. Sie werden von jetzt auf gleich am wohl tiefsten menschlichen Abgrund eingesetzt. „Das ist mit einem höheren Maß an Aufmerksamkeit verbunden“, sagt Bredt-Dehnen. Er ist eng in die Begleitung der neuen Ermittler eingebunden, die ab 1. August starten.

Sein Ziel: Die neuen Kräfte sollen empathisch bleiben, aber das Schreckliche auch nicht zu nah an sich heranlassen. Das wichtigste Instrument dazu sei der Austausch untereinander; nicht nur mit dem Seelsorger, der allerdings zur Erlangung einer gewissen „Feldkompetenz“ auch selbst Bilder angeschaut hat. Teamfähigkeit sei ein Schlüsselmerkmal für die neuen Ermittler gewesen: „Klassische Nerds sind da nicht gefragt.“

Wenn jemand in der Kinderporno-Auswertung stumm vor sich hinarbeitet und jedes Gesprächsangebot abblockt, dann schrillen bei dem Pfarrer alle Alarmglocken. Andererseits erwartet er keinen „Seelen-Striptease“: „Jeder geht seinen Weg“, erklärt er. „Ich kann dazu nur ein paar Möglichkeiten an die Hand geben.“

Damit der Rahmen für den Austausch im Ermittlerteam stimmt und es Rückzugsmöglichkeiten gibt, aber auch schöne Arbeitsplätze, stehen im LKA – das allerdings ohnehin aus allen Nähten platzt – noch räumliche Veränderungen an, erklärt Bredt-Dehnen. Es ist ein Baustein der neuen Wertschätzung, die die Kinderporno-Spezialisten aus „einem Schattendasein“ holt, wie der Pfarrer es erlebt hat. „Das ist unglaublich wichtig“, sagt er.

Auch die mit Hochdruck betriebene Forschung für unterstützende Künstliche Intelligenz und ein Gesamtkonzept für Supervision und Beratung der Ermittler in NRW seien „Riesenfortschritte“. Und überfällig, sagt Bredt-Dehnen. Ebenso wie der Entschluss, künftig den Auswertern zurückzumelden, wenn ein Missbrauchsfall durch ihre Arbeit aufgedeckt werden konnte. Bisher geschehe das höchstens zufällig. „Es ist immer mit Aufwand verbunden, aber in diesem Bereich enorm wichtig“, glaubt der Seelsorger.

Trotz der politisch unternommenen Schritte, trotz der intensiven Auswahl der Bewerber und deren engmaschiger Begleitung glaubt der Polizeipfarrer nicht, dass alle nun eingestellten Kinderporno-Ermittler auch bleiben werden. Auf lange Sicht. Wem es gelingt, seine Seele gegen das Böse abzuschirmen, dem er hier im Akkord und permanent ausgesetzt ist, zeige sich immer erst mit etwas Zeit.

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