Analyse Wie die NRW-Landesregierung den Insektenschutz entdeckt

Düsseldorf · Eine erste Konferenz soll der Biodiversität mehr Beachtung verschaffen. Doch nicht alle sind mit im Boot.

 Ministerpräsident Armin Laschet (Mitte) und Umweltministerin Ursula Heinen-Esser (l.) informieren sich auf dem „Markt der Möglichkeiten“.

Ministerpräsident Armin Laschet (Mitte) und Umweltministerin Ursula Heinen-Esser (l.) informieren sich auf dem „Markt der Möglichkeiten“.

Foto: Ekkehard Rüger

Für einen Moment könnte man denken, der Evangelische Kirchentag habe schon begonnen. Vorne auf der Bühne steht der Moderator und Kabarettist Eckart von Hirschhausen, einer der Lieblinge des Christentreffens, und predigt, das distanzierende Wort Umwelt solle durch Mitwelt ersetzt werden. Schließlich sage man auch Mitbewohner und nicht Umbewohner. Gesäumt ist der Saal in den Rheinterrassen Düsseldorf dann noch vom „Markt der Möglichkeiten“. Aber anders als beim Kirchentag präsentiert sich an den Ständen nicht alles, was irgendwie auch unter „christlich“ firmieren kann, sondern eine Auswahl der Einrichtungen, die irgendwie auch mit Insektenschutz zu tun haben.

Wie eine eilige Reaktion auf
das Ergebnis der Europawahl

Das NRW-Umweltministerium hat zur Tagung „Insekten schützen – Artenvielfalt bewahren“ eingeladen. Das ist eine Premiere. Und wenn im Hause von Ministerin Ursula Heinen-Esser (CDU) nicht schon Anfang des Jahres mit den Planungen begonnen worden wäre, hätte man die Veranstaltung für eine eilige Reaktion auf das Ergebnis der Europawahl halten können. Die hat deutlich gemacht, dass Umwelt- und Klimaschutz ganz oben auf der Agenda der Wähler stehen. Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) kann seine Begrüßungsworte an die laut Veranstalter mehr als 300 Teilnehmer jetzt von einem Rednerpult sprechen, das einen Falter auf einer Blüte zeigt.

Laschet räumt bei dem Thema einen „besonderen Nachholbedarf“ ein. Dann spricht er aber kaum noch vom Insektensterben, sondern mehr vom Kohlekompromiss und davon, wie kompliziert die Lage ist. Der rot-grünen Vorgängerregierung attestiert er, sie habe beim Naturschutz Gesetze gemacht, „die weiter waren als woanders in Deutschland. Das haben wir auch nicht immer so gesehen.“

Der Ministerpräsident nimmt für sein Land in Anspruch, mit dem ersten Naturschutzgebiet im Neandertal 1921 eine Art Geburtshelfer für das Thema gewesen zu sein. Aber auch das vermehrte öffentliche Bewusstsein für das Insektensterben nahm in NRW seinen Ursprung: durch die inzwischen zahlreich zitierte Langzeitstudie des Entomologischen Vereins Krefeld. Über einen Zeitraum von knapp 30 Jahren verzeichnete die Studie einen Rückgang der Insekten-Biomasse um etwa 75 Prozent – und das in als geschützt geltenden Landschaften.

25 000 Insektenarten werden allein in Nordrhein-Westfalen ausgemacht. 55 Prozent aller Schmetterlinge und 52  Prozent aller Wespenarten stehen auf der Roten Liste der bedrohten Tierarten, sagt Ministerin Heinen-Esser. Dabei habe die Dienstleistung der Insekten an der Natur einen hohen ökonomischen Wert. Es gehe jenseits aller wirtschaftlichen Überlegungen bei der Biodiversität aber auch um den „Erhalt an sich“, so Heinen-Esser.

„Die Idee des heutigen Tages ist, dass gemacht wird, was umgesetzt werden muss“, gibt die Ministerin als Parole aus. Dazu hat ihr Haus Fachvorträge von Experten organisiert, darunter den Bielefelder Unternehmer Hans-Dietrich Reckhaus, dessen Firma Insektenschutzmittel herstellt, während er sich immer stärker dem Erhalt der Insektenvielfalt verschrieben hat.

Auch die viel gescholtene Landwirtschaft sitzt in Düsseldorf mit am Tisch. Bernhard Conzen und Johannes Röring, die Präsidenten der beiden Landwirtschaftsverbände von Rheinland und Westfalen-Lippe, appellieren an die Verantwortlichen in Politik und Verbänden, es nicht zu einem Zerwürfnis zwischen Landwirtschaft und Gesellschaft kommen zu lassen. Biodiversität und Naturschutz seien nicht teilbar, sondern eine gesamtgesellschaftliche Herausforderung. „Wir Landwirte nehmen unseren Teil der Verantwortung für die Förderung der Insektenvielfalt an.“ In einigen Bereichen funktioniere die Zusammenarbeit mit dem Naturschutz schon lange gut.

Einer der Zuhörer im Saal ist Holger Sticht, Landesvorsitzender des BUND NRW. Die Umweltschutz-Organisation, schon im Hambacher Forst einer der Kontrahenten der Landesregierung, wurde nicht in die Rheinterrassen eingeladen. Sticht bezeichnet die Konferenz als „reine Unterhaltungsveranstaltung“. Laschet habe verschwiegen, dass der Naturschutzhaushalt des Landes um 30 Prozent reduziert worden sei. „Im Verborgenen tun sie alles dafür, dass die Artenvielfalt abnimmt.“

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