Analyse Wie die Grünen das Digitale lokal greifbar machen wollen

Wuppertal · Zusammen mit Experten sucht die Partei nach Wegen, die Digitalisierung nicht den Global Playern zu überlassen.

 Grünen-Vorsitzende Mona Neubaur leitet die Kommission zur Digitalisierung, der auch Uwe Schneidewind (Wuppertal Institut) angehört.

Grünen-Vorsitzende Mona Neubaur leitet die Kommission zur Digitalisierung, der auch Uwe Schneidewind (Wuppertal Institut) angehört.

Foto: Fischer, Andreas

 Emanzipation meint die Befreiung aus Abhängigkeiten. Digitalisierung bewirkt oft das Gegenteil: „Man spürt, wie man entemanzipiert wird“, sagt Uwe Schneidewind, Präsident des Wuppertal Instituts. Für eine Partei wie die Grünen, für die der Emanzipationsbegriff zur Kernidentität gehört, ist das eine besondere Herausforderung – und der Grund, warum der Landesverband das Thema für dieses Jahr zu einem von zwei Schwerpunkten erkoren hat.

Es werde „parteiseitig auch Zumutungen geben“, stellt Mona Neubaur in Aussicht. Die Landesvorsitzende leitet eine Kommission aus Politikern und Experten, die sich als Sounding Board versteht, also als Resonanzraum für unterschiedliche und auch kritische Einschätzungen. Gemeinsames Ziel: „Wir wollen die Mündigkeit und Selbstbestimmtheit von Bürgern fördern und die Chancen für Nachhaltigkeit nutzen“, sagt Neubaur.

Gesucht sind Gestaltungsmöglichkeiten, die lokal greifbar werden und damit auch das uferlose Thema Digitalisierung portionieren: die Vorteile für die Landwirtschaft beispielsweise, wenn autonom fahrende Roboter den Pestizideinsatz mindern können und  eine App den Landwirten den Schutz des bedrohten Kiebitzes erleichtert, indem sie Nester lokalisiert.

Einhelliger Meinung sind die Experten der Kommission dabei längst nicht immer. Bei der Mobilitätsfrage treffen Anhänger der perfektionierten Schwarmvernetzung auf die Verfechter einer intensiveren Fahrradnutzung. Aber angestrebt sei von allen Seiten eine „Entdämonisierung“ der digitalen Möglichkeiten, sagt Schneidewind, der als Experte für Transformationsprozesse Teil der Kommission ist.

Öffentliche Unternehmen
als Vorreiter regionaler Lösungen

Ein Ansatz, den die Grünen dabei laut Neubaur verfolgen: „Wie stärken wir unsere öffentlichen Unternehmen so weit, dass sie regionale Vorreiter sein können, wenn andere Geschäftsfelder wegfallen?“ Kommunale Betriebe seien in Energie- und Verkehrsfragen nahe bei den Menschen. Im Ergebnis könnte das aus Sicht der Grünen zu einem Revival der Stadtwerke und einer Stärkung der regionalen Verkehrsunternehmen führen.

Denn bei der künftigen digitalen Organisation der Mobilität in den Städten ist für Schneidewind klar: „Der Profit wird von demjenigen gemacht, dessen App ich habe.“ Entscheidend ist für den Wirtschaftswissenschaftler daher die Klärung der Frage: „Was bleibt unter welcher Kontrolle?“

Aber die Suche nach regionalen oder auch nur europäischen Einflussmöglichkeiten auf den Digitalisierungsprozess wird zum Wettlauf gegen die Zeit und das enorme Entwicklungstempo der weltweit agierenden Konzerne. „Ein europäisches Facebook wird es nicht mehr geben“, sagt Schneidewind.

Andererseits sieht er in der Künstlichen Intelligenz „die Chance, Arbeit neu zu organisieren und Wohlstand anders zu verteilen“. Eine in Teilen der Grünen immer noch verbreitete Technologiefeindlichkeit wird aus der Kommission heraus jedenfalls keine neue Nahrung erhalten.

Ende April will sie ihre Ergebnisse präsentieren. Mitte Juni wird der Landesparteitag in Neuss mit den Ergebnissen konfrontiert. Dann soll das Thema möglichst schnell in die Parteigliederungen getragen werden – rechtzeitig vor der Kommunalwahl  im Herbst 2020.

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