Experiment Der Versuch, 15 Minuten einem Unbekannten in Düsseldorf zu folgen

Düsseldorf · Ein Mal im Leben Privatdetektiv spielen: Unsere Autorin hat sich der Herausforderung aus dem Buch „Düsseldorf made by me“ gestellt. Eine Beichte, die auch ein Erfahrungsbericht ist.

Diesen Ausgang der U-Bahn-Station Heinrich-Heine-Alle hat die ältere Dame mit der roten Handtasche genutzt. Dann ging es zunächst nach links zum Juwelier. Archivfoto: MZ

Diesen Ausgang der U-Bahn-Station Heinrich-Heine-Alle hat die ältere Dame mit der roten Handtasche genutzt. Dann ging es zunächst nach links zum Juwelier. Archivfoto: MZ

Foto: Melanie Zanin

Die Aufgabe

Jeden Monat stellen wir uns einer neuen Herausforderung aus dem Buch „Düsseldorf made by me — ein Mach-mich-Fertig-Buch“. Dieses Mal „Steige an der Schadowstraße aus der U-Bahn und folge einem unbekannten Menschen für 15 Minuten“.

Prolog

Ermittler und Detektive fand ich schon immer gut. Schon als Kind sah ich mich im Geiste durch nebelige Gassen laufen, den Umhang fest um meinen Körper geschlungen, auf den Spuren eines Phantoms. Ja, ich habe zu viel Sherlock Holmes geschaut (und ja, ich hatte immer schon viel Phantasie). Die Herausforderung passt also perfekt, löst sie doch schon beim Lesen ein Kribbeln aus.

Der Weg

Da unsere Redaktion an der Königsallee ganz in der Nähe der Schadowstraße liegt und eine Fahrt dahin sich nicht lohnt, mogle ich ein bisschen. Ich steige also nicht aus der U-Bahn und folge, sondern ich warte an der nächstgelegenen U-Bahn-Station, der Heinrich-Heine-Allee, auf meinen Unbekannten/meine Unbekannte und folge ihm/ihr hoffentlich unauffällig für genau 15 Minuten. Schon auf dem Weg zur Station bin ich nervös. Noch bevor etwas passiert ist, fühle ich mich ertappt. Komisch, das hatte ich schon als Kind. Bereits meine Eltern haben mir immer schon angesehen, wenn ich vorhatte, Mist zu bauen. Dachte ich jedenfalls. In der Psychologie nennt man das übrigens den „Spotlight-Effekt“. Man bildet sich ein, dass andere Menschen einem viel mehr Aufmerksamkeit widmen, als es tatsächlich der Fall ist. Besonders häufig und heftig betroffen sollen wohl Menschen mit sozialer Phobie sein. Jedenfalls habe ich genau diesen „Spotlight-Effekt“ auf dem Weg zur U-Bahn. Alle wissen Bescheid, was ich machen will. Und wer weiß, wer mich gerade verfolgt? Ich fahre die Rolltreppe zum Bahnsteig hinunter. Mein Soundtrack im Kopf dazu: Das Titellied der Serie „Akte X“.

Die Auswahl

Ich sitze auf einer Bank in der U-Bahn-Station Heinrich-Heine-Allee. Bahnen halten, Leute steigen aus. Wen nehme ich? Die dünne Frau mit der Leopardenbluse, der hautengen Lederhose und dem totgefärbten blonden Haar? Den geschäftigen Business-Mann im schwarzen Anzug, der mit Handy am Ohr, die Rolltreppe hoch sprintet? Das verliebte Pärchen mit Rucksäcken, das sich auf englisch unterhält und Händchen hält? Sie sind es alle noch nicht. Ich warte auf die nächste Bahn.

Die Auserwählte

Dieser resolute Schritt schon beim Ausstieg aus der Tür. Dieser resolute Gang zur Rolltreppe Richtung Ausgang Corneliusplatz. Sie ist es. Meine Auserkorene ist ungefähr Mitte 70, trägt eine rote Handtasche, eine weiße Bluse und eine lilafarbene Steppweste. Die Handtasche hat sie fest um ihr rechtes Handgelenk geschlungen. Ihre grauen Haare sind kurz frisiert. Praktisch hätte meine Oma diesen Schnitt genannt und doch modisch. Die lilafarbene Schmetterlingsbrille korrespondiert perfekt mit der Weste. Die Mundwinkel hängen ein wenig nach unten, das sieht aber mehr nach Konzentration als nach Verbitterung aus. Diese Frau hat alles im Griff. Nicht der Omi-Typ, der mit der Kittelschürze in der Küche Kuchen backt, sondern der Typ, der mit dem Stockschirm auf Störenfriede eindrischt. Eine, die nicht zögert, nicht zaudert. Meine Auserwählte rennt Richtung Rolltreppe. Dort angekommen nimmt sie gleich zwei, drei Stufen auf einmal. Diese Frau will nach oben. Ich hingegen habe Mühe, hinterher zu kommen und denke kurz an mein Fitness-Studio und die Monatsgebühr.

Die Verfolgung

Die Resolute steuert zielsicher auf einen Juwelier am Corneliusplatz zu. Bleibt vor der Tür stehen. Die Tasche immer noch fest umschlungen, wendet sie sich ab und dreht sich zur Ampel um. Bemerke ich da ein Zögern, ein Zaudern? Das kann nicht sein. Die Ampel springt auf grün, meine Omi rennt im Galopp über die Straße. Dann geht sie nach links, steuert auf die Mayersche Buchhandlung zu. Und ist verschwunden. Ich laufe hinterher und entdecke sie drinnen auf der Rolltreppe.

Die Schrecksekunde

Ich stehe mit gebührendem Abstand hinter ihr auf der Rolltreppe. Da passiert es. Die Resolute dreht sich um. Unsere Augen begegnen sich kurz. Sie weiß es. Sie hat mich gesehen. Ich bin aufgeflogen. Was sage ich jetzt? Mir wird siedend heiß. Sie dreht sich wieder um. Blöder Spotlight-Effekt.

Das Finale

Sie fährt bis oben und bestellt sich im Café einen Tee und einen Bagel. Das hätte ich nicht gedacht. Ich dachte, sie schaut nach Do-It-Yourself-Büchern. Und dann, dann setzt sie sich tatsächlich an einen Tisch und öffnet ihre Tasche. Die Zeitschrift, die sie heraus holt, überrascht mich wie ihre Bestellung. Es ist die „Funkuhr“. Ganz langsam blättert sie durch das Blatt und befeuchtet vor dem Umblättern immer ihren rechten Zeigefinger. Sie kramt aus der Tasche einen Stift hervor — und fängt an, Kreuzworträtsel zu lösen. Ich sitze schräg vor ihr und schaue ihr dabei zu. Der Blick auf meine Uhr sagt, dass die fünfzehn Minuten schon längst vorbei sind.

Der Rückweg

Wer sie wohl war? Wie sie wohl hieß? Und wo sie danach noch hin ging? Ich werde es wohl nie erfahren. Liebe resolute Frau, der ich heimlich gefolgt bin, mit den Kreuzworträtseln hätte ich nie gerechnet. Finde ich sehr sympathisch. Kurz vor der Redaktion steht vor einem Schaufenster der Modemarke Hermès die dünne Blonde mit der Leopardenbluse. Wer weiß, womit sie mich wohl überrascht hätte. Aber beim Friseur war sie definitiv nicht.

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