Festveranstaltung im Landtag Walter Scheel und die Kunst, mit offenen Augen zu schlafen

Düsseldorf · Im Landtag wird der 2016 verstorbene Alt-Bundespräsident zum 100. Geburtstag als großer Liberaler gewürdigt – und als Mensch.

 Patriot, gesellschaftlicher Reformer und europäischer Weltbürger: So wurde Walter Scheel im Landtag gewürdigt.

Patriot, gesellschaftlicher Reformer und europäischer Weltbürger: So wurde Walter Scheel im Landtag gewürdigt.

Foto: dpa/Patrick Seeger

Es ist eine Geburtstagsfeier ohne Jubilar.  Aber nur den wenigsten gelingt es schließlich auch, zum 100. noch unter den Lebenden zu weilen. Wobei: Walter Scheel hätte es beinahe geschafft. Der Alt-Bundespräsident starb erst im August 2016 im Alter von 97 Jahren.

Vermutlich hätte dem gebürtigen Bergischen mit familiären Wurzeln im heute zu Solingen zählenden Höhscheid die Feierstunde im Düsseldorfer Landtag gefallen. Denn erstens war der Freidemokrat selbst in der Nachkriegszeit mal vier Jahre Landtagsabgeordneter. Und zweitens atmen die Gäste der FDP-nahen Friedrich-Naumann-Stiftung an diesem Montagabend im Plenarsaal noch einmal kräftige sozialliberale Luft. Burkhard Hirsch ist gekommen, Gerhart Baum auch. Der einstige SPD-Vorsitzende Franz Müntefering sitzt in der ersten Reihe. Und auf die frühere Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Vizevorsitzende der Stiftung, geht gleich die Idee für die gesamte Veranstaltung zurück.

Das berühmte Lied zugunsten
der Aktion Sorgenkind

Sie ist es auch, die bald auf dieses Lied zu sprechen kommt, auf das Scheel in mancher Erinnerung reduziert wird. Dass sie seine Liedaufnahme „Hoch auf dem gelben Wagen“ fälschlich einer Benefizaktion zugunsten der Aktion Sühnezeichen und nicht der Aktion Sorgenkind zuschreibt, macht gleichwohl Sinn. Denn Scheel war eben auch das: ein Wegbereiter der deutschen Ost- und Entspannungspolitik, der erste deutsche Außenminister, der Israel besuchte – und derjenige, der dafür sorgte, „dass die FDP auf den richtigen und nicht auf den rechten Weg kam“, wie die heutige NRW-Antisemitismusbeauftragte formuliert.

Ein Verdienst, das auch Laudator Joachim Stamp, Integrationsminister und stellvertretender Ministerpräsident , hervorhebt. Die FDP habe gerade in NRW nach dem Krieg in der Gefahr gestanden, zum Auffangbecken der Nationalisten und Altnazis zu werden. Scheel habe dem entgegengestanden: „als Patriot, gesellschaftlicher Reformer und europäischer Weltbürger“. Stamp leitet daraus die Verantwortung der Gegenwehr ab „gegen Rassisten und Nationalisten und alle, die unsere offene Gesellschaft zerstören wollen“.

Als Scheels langjähriger Weggefährte Burkhard Hirsch in der anschließenden Gesprächsrunde nach dessen Lebensleistungen gefragt wird, sagt er: „Er war jemand, der die Wahrheit sagen konnte, ohne dass er damit verletzte.“ Und ehe er ihn zum bedeutendsten liberalen Politiker erklärt, „den wir seit der Nachkriegszeit hatten“, verneigt sich der frühere Landesinnenminister noch vor einer besonderen Kunst des Geehrten: „Ich habe von Scheel gelernt, wie man mit offenen Augen schlafen kann und trotzdem alles verfolgt.“

Eine Einschätzung, die sich mit Eindrücken deckt, von denen Scheels Sohn Ulrich erzählt. Schon als kleines Kind habe er zu Hause den Eindruck gewonnen: „Politik ist erstens wichtig – und zweitens ein gar nicht so ernstes Geschäft.“

Wirklich ernsthaft sei sein Vater in dieses Geschäft erst nach dem Tod seiner ersten Ehefrau eingestiegen, die 1966 an Krebs starb. Drei Jahre später begann die Koalition mit Willy Brandt – und mit ihr die Kurswende des ganzen Landes. 

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