Scotts Wandlung - Teil 4 Transsexualität: Welche Rolle die Psychologen spielen

Willich · Um seinen Weg der Geschlechtsangleichung zu gehen, ist Scott auf  psychologische Gutachten angewiesen. Und sie lassen keinen Zweifel aufkommen.

 Bei der Kommunion der großen Schwester trug Scott (damals Sherina) noch ein Kleid, bei der eigenen schon nicht mehr.

Bei der Kommunion der großen Schwester trug Scott (damals Sherina) noch ein Kleid, bei der eigenen schon nicht mehr.

Foto: Scott Pantelidis

Was und wer entscheidet darüber, welches Geschlecht ein Mensch hat? Die Stuttgarter Erklärung, im Mai 2015 von Ärzten, Psychotherapeuten, Menschenrechtlern und Betroffenen verfasst, ist da eindeutig: „Nur der einzelne Mensch kann auf Grund seines Wissens über sich selbst über sein eigenes Geschlecht, seine Geschlechtszugehörigkeit, verlässlich Auskunft geben. Allein ihm obliegt es, sein Geschlecht zu bestimmen.“

Aber als der Willicher Gymnasiast Scott sich 2016 im Alter von 14 Jahren auf den Weg macht, seinen nach äußeren Kriterien weiblichen Körper und seine innerlich schon seit Grundschulzeiten empfundene männliche Identität einander anzugleichen, stößt er schnell an die Grenzen der Selbstbestimmung.

Für die Akzeptanz seines Namenswechsels von Sherina zu Scott ist er auf das Entgegenkommen seiner Mitschüler und Lehrer angewiesen, für die offizielle Personenstandsänderung als Minderjähriger auch auf das Einverständnis seiner Mutter – und auf zwei unabhängig von einander verfasste psychologische Gutachten ohnehin. Sie sind zugleich Basis für die Entscheidung der Krankenkasse und des Medizinischen Dienstes auf Kostenübernahme für die geplanten chirurgischen Eingriffe.

„Die Zunahme an Fällen
bereitet mir Sorge“

Im Gespräch mit dem „Spiegel“ hat der Münchner Kinderpsychiater Alexander Korte, der transsexuelle Mädchen und Jungen behandelt, im Januar von einem „enormen Zulauf“ berichtet. „Wir werden überschwemmt von Anfragen. Die Zunahme an Fällen bereitet mir Sorge.“ Das Transgender-Thema werde gegenwärtig sehr gehypt. Er spricht von einem „Zeitgeistphänomen“.

Gibt es also womöglich mitunter eine zu schnelle Bereitschaft, normabweichendes Verhalten als Ausdruck von Transsexualität zu deuten – durch die Betroffenen selbst oder durch ihr familiäres Umfeld? Oder ist der zu beobachtende Anstieg  eher Ausdruck einer offener gewordenen Gesellschaft, die es Menschen überhaupt erst ermöglicht, sich zu ihrer Transsexualität zu bekennen und nach Wegen zu suchen, ihren Leidensdruck zu mindern?

Seit anderthalb Jahren in
therapeutischer Behandlung

Seit Sommer 2017 befindet Scott sich bei Günter Langensiepen in psychotherapeutischer Behandlung. Der Kölner Facharzt für Psychiatrie, Psychoanalyse und Psychotherapie ist zugleich auch einer seiner beiden Gutachter für das Verfahren zur Personenstandsänderung am Düsseldorfer Amtsgericht. Ende März 2018 reicht er dort ein 14-seitiges Gutachten ein.

Es beschreibt, wie Scott davon berichtet, sich sowohl in Kinderbüchern als auch in Filmen mit den Jungen identifiziert zu haben und in seinen Träumen männlich zu sein. Wie er ab dem zehnten Lebensjahr versucht, weibliche Körperformen mit seiner Kleidung und später durch gezielte Gewichtszunahme zu überdecken. Wie er schließlich ab September 2017 einen Binder trägt, um die weibliche Brust nicht sichtbar zu machen. „Er tat alles, um als Mann gesehen zu werden.“

Auch die psychotherapeutische Behandlung lässt bei Langensiepen keine Zweifel aufkommen, dass Scott in der männlichen Rolle leben will. „Die Diagnose zeigte sich als stabil und tief im Innerpsychischen verankert, sodass ich bei der Stabilität der psychischen Struktur trotz des Alters von unter 16 Jahren (...) die Indikation zur gegengeschlechtlichen Hormonbehandlung stellte“, heißt es in dem Gutachten. Im Januar 2018, einen Monat vor seinem 16. Geburtstag, erhält Scott seine erste Testosteron-Spritze.

Der zweite Gutachter, der seine Einschätzung im April 2018 beim Amtsgericht einreicht, nimmt Scott als eine „bereits deutlich defeminisierte und entsprechend maskulinisierte Person“ wahr. Sein Verhalten sei „stimmig, passend und nicht aufgesetzt“. Ein „spezifischer Leidensdruck“ sei bei Scott noch durch das Vorhandensein der Brüste bedingt, „die operativ entfernt werden sollen“. Das Gutachten kommt zu dem Schluss, dass eine Änderung der maskulinen Selbstwahrnehmung nicht zu erwarten sei. „Dies bedeutet, dass das gelebte männliche Lebenskonzept beibehalten wird.“

„Angleichung an das
gefühlte männliche Geschlecht“

Auch Scotts Therapeut Langensiepen ist überzeugt: „Es besteht eine gesicherte Inkongruenz zwischen weiblichem Geburtsgeschlecht und gefühlter sozialer Rolle.“ Eine Einschätzung, die für ihn nur einen Schluss zulässt: Als therapeutische Maßnahme, um Scotts psychische Spannung zu lindern, komme „einzig die soziale und medizinische Angleichung an das gefühlte männliche Geschlecht“ infrage. Es sei schwer vorstellbar, dass eine Änderung des männlichen Lebensentwurfes möglich sei. „Von daher ist mit einem Rückumwandlungsbegehren nicht zu rechnen.“

Das Amtsgericht genehmigt auf der Basis der Gutachten die Personenstandsänderung, der Medizinische Dienst Nordrhein die Kostenübernahme durch die Krankenkasse für die geplante Brustoperation. Jetzt steht der nächste Schritt bevor: der erste chirurgische Eingriff.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort