Neue Gesprächsreihe im Haus der Geschichte NRW Der Talk zum NRW-Jubiläum

Düsseldorf · In der Reihe „Geschichte(n) mit Rheinblick“ im Düsseldorfer Haus der Geschichte verbindet sich Literatur über die Region mit Historie.

 Anne Gesthuysen (l.) sprach mit Benedikt Wintgens über NRW-Geschichten. Moderiert wurde der Abend von Rebecca Link.

Anne Gesthuysen (l.) sprach mit Benedikt Wintgens über NRW-Geschichten. Moderiert wurde der Abend von Rebecca Link.

Foto: Bretz, Andreas (abr)

Die Jubiläumsausstellung „Unser Land – 75 Jahre Nordrhein-Westfalen“ im Behrensbau am Mannesmannufer wird in loser Folge von der Gesprächsreihe „Geschichte(n) mit Rheinblick“ begleitet. Gäste der ersten Veranstaltung waren die Journalistin und Autorin Anne Gesthuysen und der Historiker und Politikwissenschaftler Benedikt Wintgens, moderiert wurde die Runde von Rebecca Link (WDR 5).

In seiner Einführung hob Hans Walter Hütter, Vorsitzender des Präsidiums der Stiftung Haus der Geschichte Bundesrepublik Deutschland, die Frage des Abends hervor: Wie weit können Romane historischen Inhalts für das Geschichtsbewusstsein der Bevölkerung eine Rolle spielen? Konstruieren sie vielleicht nur eine vermeintliche Wirklichkeit? Beginnend mit „Wir waren doch Schwestern“ (2012) wurde Anne Gest­huysen durch mehrere Bücher zur Nachkriegszeit bekannt, angelehnt an ihre Familiengeschichte. „Mein Erstling entstand durch Zufall“, sagte sie. „Ich hatte nicht die Absicht, einen historischen Roman zu schreiben.“ Vorbild waren ihre drei Großtanten vom Niederrhein, alle wurden bei geistiger Frische über 100 Jahre alt. „Vieles ist fiktional, aber durch Recherche untermauert. Den Politiker und CDU-Landtagsabgeordneten, den ich in dem Roman schildere, gab es dagegen wirklich. Er war verheiratet, hatte eine langjährige außereheliche Liebesbeziehung mit einer meiner Tanten.“

In dem Kapitel „Leiche im Keller“, aus dem sie las, beschreibt die Autorin eine Episode kurz vor Kriegsende. Am 22. März 1945 setzten die Engländer über den Rhein bei Xanten. An jenem Tag findet die Familie einen schwerverletzten jungen Soldaten, der im Keller Zuflucht gesucht hatte und dort starb. „In diesen spannenden Momentaufnahmen einer historischen Zäsur verbinden sich der Niederrhein und die Weltpolitik“, kommentierte Benedikt Wintgens. Auch er hat sich die Nachkriegsgeschichte zum Thema gemacht. Seine Dissertation schrieb er über den Roman „Das Treibhaus“, Teil der „Trilogie des Scheiterns“ (1953) von Wolfgang Koeppen. „Der Schriftsteller spürte der Frage nach, wie der Neubeginn in einem verheerten Land gelingen und ein demokratisches Gemeinwesen daraus erwachsen könne“, sagte Wintgens. Sowohl seine Dissertation als auch seine wissenschaftliche Museumsarbeit erforderten eine unbedingte Genauigkeit der Fakten, sagte er. „Historische Romane führen aber nicht notwendig in die Irre. Wer etwas über den Lebensalltag im Nachkriegsdeutschland lesen möchte, dem empfehle ich die Bücher von Anne Gesthuysen.“

Die Autorin genießt den Luxus, ihre Figuren aussuchen und formen zu können. „Man puzzelt sich eine Welt zusammen, und wenn ein Teilchen fehlt, ersetze ich es durch Fiktion. So kann ich mir einen freundlicheren Blick auf die Zeit leisten.“ Nach „Sei mir ein Vater“ (2015) und „Mädelsabend“ (2018) erklimmt gerade ihr neues Werk „Wir sind schließlich wer“ über eine junge Pastorin am Niederrhein die Bestsellerlisten. Dort ist auch Anne Gesthuysen in einem kleinen Dorf aufgewachsen. Die Prägung hält lebenslang, auch die der Kirche: „Es geht auch um Zugehörigkeit, ein Dorf muss zusammenhalten. Die Kirche sorgt für Homogenität und eignet sich gut für soziale Kontrolle.“

Die Frage nach den beherrschenden NRW-Themen aus 75 Jahren beantwortete Benedikt Wintgens in vier Stichworten: „Das Nebeneinander von Stadt und Land, die Einbettung in den europäischen Raum, versinnbildlicht durch den Rhein. Dann die Migranten und der Strukturwandel einer Industrieregion.“ Anne Gesthuysen erinnerte an starke Bewegungen, die vom Land ausgingen. Etwa die Anti-Atomkraft-Demonstrationen oder die Gewalt durch die RAF. Namen und Fahndungsfotos der Terroristen in Tankstellen hätten sich ihr als Kind eingebrannt. Mehr zur Ausstellung gibt es unter:

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