Gesundheitsversorgung Studie: Jedes zweite Krankenhaus ist überflüssig

Gütersloh · Hat Deutschland zu viele Krankenhäuser? Die Bertelsmann Stiftung sieht das so und meldet sich mit einem radikalen Vorschlag zu Wort. Die Deutsche Krankenhausgesellschaft reagiert empört.

Studienergebnisse: Jedes zweite Krankenhaus ist überflüssig
Foto: dpa/Stephanie Pilick

Mehr als jedes zweite Krankenhaus in Deutschland sollte nach Ansicht von Fachleuten geschlossen werden, damit die Versorgung der Patienten verbessert werden kann. Von den derzeit knapp 1400 Krankenhäusern sollten nur deutlich weniger als 600 größere und bessere Kliniken erhalten bleiben, heißt es in einer am Montag veröffentlichten Untersuchung der Bertelsmann Stiftung. Sie könnten dann mehr Personal und eine bessere Ausstattung erhalten.

„Nur Kliniken mit größeren Fachabteilungen und mehr Patienten haben genügend Erfahrung für eine sichere Behandlung“, betonen die Autoren der Studie. Viele Komplikationen und Todesfälle ließen sich durch eine Bündelung von Ärzten und Pflegepersonal sowie Geräten in weniger Krankenhäusern vermeiden. Kleine Kliniken verfügten dagegen häufig nicht über die nötige Ausstattung und Erfahrung, um lebensbedrohliche Notfälle wie einen Herzinfarkt oder einen Schlaganfall angemessen behandeln zu können.

Nur in ausreichend großen Kliniken könnten Facharztstellen rund um die Uhr besetzt werden. Auch Computertomographen und andere wichtige Geräte könnten dann in allen Kliniken bereit stehen. Vor allem die Qualität der Notfallversorgung und von planbaren Operationen lasse sich so verbessern. Auch der Mangel an Pflegekräften könne so gemindert werden. „Es gibt zu wenig medizinisches Personal, um die Klinikzahl aufrecht zu erhalten“, schreibt Bertelsmann-Projektleiter Jan Böcken.

Die Deutsche Krankenhausgesellschaft weist das Konzept empört zurück. „Wer vorschlägt, von etwa 1600 Akutkrankenhäusern 1000 platt zu machen und die verbleibenden 600 Kliniken zu Großkliniken auszubauen, propagiert die Zerstörung von sozialer Infrastruktur in einem geradezu abenteuerlichen Ausmaß, ohne die medizinische Versorgung zu verbessern. Das ist das exakte Gegenteil dessen, was die Kommission ‚Gleichwertige Lebensverhältnisse‘ in dieser Woche für die ländlichen Räume gefordert hat“, sagt der Präsident der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG), Gerald Gaß.

Das zentrale Qualitätsmerkmal eines jeden Gesundheitswesens sei der flächendeckende Zugang zu medizinischer Versorgung. Deutschland habe eines der besten Krankenhausversorgungssysteme der Welt.

„Hinter der Zentralisierung, die die Bertelsmann-Stiftung vorschlägt, steht die Einschätzung, dass die medizinische Versorgungsqualität nur in Großkrankenhäusern gut bzw. besser werden könnte. Das ist eine absolut unbelegte Einschätzung. Wir messen seit Jahren anhand vieler Indikatoren die Qualität der medizinischen Versorgung. Zum Beispiel auf Inneren Abteilungen Lungenentzündungen, auf Gynäkologischen Abteilungen Geburten, Hüftoperationen usw. Mit wenigen Ausnahmen bestätigt der Gemeinsame Bundesausschuss Jahr für Jahr allen an dem Verfahren beteiligten Kliniken ein hohes Qualitätsniveau. Wo einzelne Kliniken Qualitätsdefizite haben, finden Interventionen statt“, so Gaß.

Über eine Verringerung der Zahl der Krankenhäuser wird in Deutschland seit langem diskutiert. Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) hatte kürzlich betont: „Ein Krankenhaus vor Ort ist für viele Bürger ein Stück Heimat.“ Gerade in gesundheitlichen Notlagen brauche es eine schnell erreichbare Versorgung. Krankenhäuser in ländlichen Regionen erhalten von den Krankenkassen künftig extra Geld. Vorgesehen sind im nächsten Jahr Finanzspritzen für 120 Kliniken von jeweils 400 000 Euro und damit insgesamt 48 Millionen Euro.

In der Bertelsmann-Studie heißt es dagegen, die schnelle Erreichbarkeit eines kleinen Krankenhauses sei nur ein vermeintlicher Vorteil. Wenn dort kein Facharzt verfügbar sei, habe die Klinik einen gravierenden Qualitätsnachteil. Eine Fallstudie für die Region Köln/Leverkusen und den angrenzenden ländlichen Raum habe gezeigt, dass Patienten dort bei einer Verringerung der Zahl der Kliniken von 38 auf 14 im Durchschnitt keine viel längeren Fahrzeiten in Kauf nehmen müssten.

Die finanzielle Lage vieler Krankenhäuser in Deutschland ist prekär. Nach jüngsten Zahlen der Deutschen Krankenhausgesellschaft hat jede dritte Klinik 2017 rote Zahlen geschrieben. Die sogenannten Rationalisierungsreserven seien mittlerweile ausgeschöpft, hatte die Krankenhausgesellschaft erklärt.

Die Autoren der Bertelsmann-Studie schlagen einen zweistufigen Aufbau einer neuen Krankenhausstruktur vor. Neben Versorgungskrankenhäusern mit durchschnittlich gut 600 Betten soll es etwa 50 Unikliniken und andere Maximalversorger mit im Schnitt 1300 Betten geben. Aktuell hat ein Drittel der deutschen Krankenhäuser weniger als 100 Betten. Die Durchschnittsgröße der Kliniken liege bei unter 300 Betten.

Nach Ansicht der Wissenschaftler kommen in Deutschland zu viele Menschen ins Krankenhaus. Etwa fünf Millionen Patienten pro Jahr könnten genauso gut ambulant behandelt oder operiert werden. Die Zahl der Krankenhausfälle ließe sich so bis 2030 auf 14 Millionen in Jahr senken. Die Forscher verwiesen darauf, dass die Zahl der sogenannten Bettentage pro Einwohner in Deutschland um 70 Prozent über dem Durchschnitt der vergleichbaren EU-Länder liege.

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