Porträt: Grubenunglück - „Das Leben hängt von jedem Einzelnen ab“

Klaus Leyhe spricht über das Wunder von Chile und erinnert sich an seine Zeit unter Tage.

Sprockhövel. "Es kann sich keiner vorstellen, wie es ist, 700 Meter unter der Erdoberfläche gefangen zu sein", sagt Klaus Leyhe mit fester Stimme.

"Nicht zu wissen, ob es weiter geht." Als er die Bilder der spektakulären Rettungsaktion im Fernsehen sah, bei der am Mittwoch 33 chilenische Kumpel innerhalb eines Tages nach oben geholt wurden, traten dem sonst eher bodenständigen Mann die Tränen in den Augen.

41 Jahre lang arbeitete der Herzkamper in den verschiedenen Zechen des Ruhrgebiets. 41 Jahre lang ohne Tageslicht, in Staub und Dreck, leistete er körperliche Schwerstarbeit.

"Wenn so ein Unglück passiert, schließt man mit seinem Leben ab. Es muss entsetzlich sein - das Warten, die Angst, die Ohnmacht." Erst wenn der Bohrer den Hohlraum treffe, glaubt er, wandelten sich diese Gefühle um in pure Euphorie, "dann gibt es endlich Hoffnung. Und die ist wichtiger als Essen und Trinken."

Leyhe ahnt, wie sich die 33 Männer 70 Tage lang gefühlt haben müssen. Und auch die Helfer, die diese Zeit ohne Pause und Schlaf gearbeitet haben, um die Verschütteten zu bergen. "Es ist erstaunlich, was für Kräfte man entwickelt, wenn es darum geht, Kollegen rauszuholen."

Immer wieder komme es in den Tiefen zu kritischen Situationen. Beispielsweise durch einen plötzlichen Gasausbruch oder einen Steinschlag.

"Man kann nicht ständig Angst haben. Die Gefahr gehört zum Alltag eines Grubenarbeiters", sagt Leyhe ruhig. Ihm sei Gott sei Dank nie etwas Ernstes passiert. "In der Ausbildung lernt man vor allem eines: Vorsicht ist das A und O für das Überleben. Und der Zusammenhalt. Dein Leben hängt von jedem Einzelnen dort unten ab."

1947, mit 15 Jahren, fing Klaus Leyhe in der Sprockhöveler Zeche Alte Haase als Pferdetreiber an. "In der Nachkriegszeit hatte man Hunger - die Bergmänner bekamen mittags vier Schnitten - kostenlos."

Seine Kumpel wurden so etwas, wie seine Familie. "Damals haben ehemalige Nazis Hand in Hand mit Kommunisten gearbeitet. In der Tiefe ist es egal, welche Politik man verfolgt. Es ist eine Schicksalsgemeinschaft."

So erklärt Leyhe auch die große Disziplin der chilenischen Grubenarbeiter, die zehn lange Wochen eingeschlossen auf ihre Rettung warten mussten. "Rücksicht und Kameradschaft sind dann oberstes Gebot."

Außerdem gebe es natürliche Hierarchien, die im Ernstfall überlebenswichtig seien. Leyhe, der es bis zum Oberbesteiger, der stellvertretende Betriebsleiter unter den Bergmännern, gebracht hat, wählte gerne die moralisch Gefestigten als Vorarbeiter aus. "Es gibt Menschen mit einer natürlichen Autorität. In einem Unglücksfall müssen sie für Ruhe sorgen."

Die tiefste Grube, in der Klaus Leyhe je gearbeitet hat, ist die Zeche Nordstern bei Emscher, in rund 1300 Metern unter dem Meerespiegel.

Es sei dort unten "wie in einer anderen Welt". Das beginne schon bei den Temperaturen: Auf 25 Meter unter Null habe es etwa acht Grad plus. Dann stiegen die Temperaturen alle 100 Meter um drei Grad an. "Das ist, als hätte man ständig Fieber, man kann dort unten nur mit Kühlgeräten arbeiten."

Die Rettungskräfte, die in Chile eingesetzt waren, seien Leyhes Meinung nach sehr professionell vorgegangen. "Als ich in den Nachrichten gehört habe, was sie vorhaben, wusste ich, dass es funktionieren wird."

In seiner Arbeit hat sich Leyhe mit den verschiedenen Bohrtechniken auseinander gesetzt. "Die in Chile hatten einen guten Plan."

Wie auch damals, 1963 in Lengede, wo am Ende elf Kumpel mit Hilfe einer Rettungskapsel - der so genannten Dahlbuschbombe - gerettet werden konnten. An die "Wunderrettung" kann sich Leyhe noch sehr genau erinnern. "Damals war ich noch ein junger Arbeiter - es war eine Sensation."

Auch eine Sprockhöveler Firma sei in den 60er Jahren an solchen Rettungsaktionen beteiligt gewesen, erinnert sich der ehemalige Bergmann, die Turmag. Sie habe die Bormaschine entwickelt, mit denen die ersten Testbohrungen gemacht wurden.

"Die Bohrlöcher haben einen Durchmesser von acht Zentimetern. Trifft ein solcher Bohrer den Hohlraum, in dem die Verschütteten sind, kann man durch den schmalen Schacht die ersten Nahrungsmittel, Lampen, Telefonkabel in die Tiefe befördern."

Doch trotz all der raffinierten Technik bleiben solche Rettungsaktionen für den Sprockhöveler ein Wunder. "Es ist schon ein Zufall, mit den Testbohrern den Hohlraum zu treffen", sagt er. "Die Fälle, bei denen Kumpel das Unglück nicht überleben, sind wahrscheinlicher."

Es sei eine gefährliche Arbeit. Und alle Eventualitäten könne man nicht ausschließen. "Umso so wunderbarer ist es, wenn man auf dem Bildschirm die Ehefrauen und Kinder sieht, die ihre Männer und Väter in die Arme schließen können."

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