Familie Sander: Schicksal einer jüdischen Familie (Teil 2)

Karin Hockamp erzählt die Geschichte von Herta Sander.

Sprockhövel. Hertas Bruder Hans und ihre Schwester Hilde wanderten mit ihren Familien nach Brasilien aus. 1939 folgte ihnen aus Sprockhövel ihre Mutter Clara. Ganz bestimmt dachten auch Herta und Max Sander daran, auszuwandern. Aber woher sollten sie das Geld nehmen, um mit fünf Kindern irgendwo in der Fremde eine neue Existenz aufzubauen? Nachdem sein Arbeitgeber Paul Wolff 1936 ebenfalls nach Brasilien emigriert war, wurde Max Sander arbeitslos.

Durch den Novemberpogrom bekamen Sanders einen Vorgeschmack auf das Kommende. Die Familie wohnte seit 1935 in der Wohnung des verstorbenen Kantors in der Reeser Synagoge, die ebenfalls Opfer der Zerstörungswut wurde. Der Vater wurde später zunächst in das Konzentrationslager Dachau und von dort in das KZ Buchenwald deportiert.

Ihre Kinder in Sicherheit zu bringen, war nun für Herta Sander das Wichtigste. Wie schwer es ihr gefallen sein musste, ihre Kinder wegzugeben, ist nur zu erahnen. Es sollte ein Abschied für immer sein. Liesel, Kurt, Herbert und Walter, zwischen 1925 und 1933 geboren, wurden Anfang Dezember 1938 über die grüne Grenze nach Holland geschleust.

Die Jungen lebten zunächst in Kinderheimen bei Arnheim, bevor sie nach dem Überfall der deutschen Wehrmacht auf die Niederlande 1940 von jüdischen Familien aufgenommen wurden. Liesel arbeitete im Haushalt einer aus Rees emigrierten jüdischen Familie. Die beiden jüngsten Söhne Walter (*1933) und Herbert (*1931), ermordet 1943 im KZ Sobibor, Herta und Max Sander lebten nun mit den in Rees verbliebenen Juden auf engstem Raum im „Judenhaus“ der Familie Isaac. Sie führten ein Leben in Armut, Angst und Ausgrenzung.

Am 10. Dezember 1941 setzte nach jahrelanger Diskriminierung und Entrechtung die letzte und schlimmste Etappe des Leidensweges von Herta, Max und Helmut Sander ein. Sie erhielten den Befehl, sich an diesem Tag gemeinsam mit Max’ Schwester Jettchen auf dem Güterbahnhof Düsseldorf-Derendorf am Schlachthof einzufinden. Man hatte ihnen mitgeteilt, sie würden in das „Ostland“ „umgesiedelt“. In den Berichten von Tätern und Opfern werden die Qualen dieser viertägigen Zugfahrt nach Riga deutlich: Über tausend jüdische Menschen vom Säuglingsalter bis zum Alter von 65 Jahren mussten sich in teils überfüllte Waggons ohne funktionierende Heizung pressen, es gab nichts zu essen und kaum etwas zu trinken.

Max Schwester Jettchen (44), der es nach der furchtbaren Zugfahrt schlecht ging, wurde unmittelbar nach ihrer Ankunft in Riga ermordet. Bei eisiger Kälte mussten Herta, Max und Helmut Sander mit 25 Personen in einer Drei-Zimmer-Wohnung ohne Bad und Toilette hausen. Nach 14 Tagen wurde Helmut in das Lager Salaspils zu härtester Zwangsarbeit gebracht. Dann wurde er in das Lager Smarden deportiert, zum Torfstechen. Von Herta und Max Sander sind nun keine Lebenszeichen mehr überliefert.

Im Herbst 1943 wurde das Ghetto Riga angesichts der herannahenden Front aufgelöst; SS und Polizei trieben einige der wenigen Überlebenden, zu denen auch Herta und Max Sander gehört haben müssen, in das KZ Kaiserwald. Wegen der immer weiter nach Westen vorrückenden Sowjetarmee wurde auch dieses Lager im August 1944 geräumt und die gequälten Menschen, darunter auch Sanders, nach Stutthof bei Danzig evakuiert.

Die Hoffnung, dass ihr Mann und ihre Kinder die Shoah überleben, wird zum Schluss der einzige Lichtblick in Herta Sanders Leben gewesen sein. Nach Quellenlage kam sie in Stutthof ums Leben. Am 15. Oktober 1947 wurden sie und ihr Mann vom Amtsgericht Rees für tot erklärt.

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