Gesangsverein Ein Chor mit einer bewegten Geschichte

Sprockhövel. · Crescendo gibt es mit wechselnden Namen seit 125 Jahren. Viele Mitglieder sind lange dabei.

Der Chor Crescendo feiert sein 125-jähriges Jubiläum. Foto: Gerhard Bartsch

Der Chor Crescendo feiert sein 125-jähriges Jubiläum. Foto: Gerhard Bartsch

Foto: Bartsch,G. (b13)

„O o o, u u u“ und dann „Uj uj“ steht auf dem großen Flipchart auf den Natalia Heidorn zeigt, und was wie Lautmalerei von Erstklässlern klingt, sind „Aufwärmübungen“ für die Stimmbänder, die 17 Damen und Herren willig mitmachen. Und als die fröhliche Schar dann melodisches Zwitschern hervorbringt, können die Blätter mit den Noten und den Liedtexten verteilt werden.

Szenen aus einem Probenabend von „Crescendo“, dem gemischten Chor in Sprockhövel, im Bürgerhaus in Niedersprockhövel. „Crescendo“, ein Verein, der seinen Namen mehrfach gewechselt hat, ist in diesem Jahr 125 Jahre alt geworden und hat mit seinem Jubiläumskonzert Anfang des Monats in der Zwiebelturmkirche seine Zuhörerschaft begeistert.

Dass sich der gemischte Chor zu immer neuen Qualitätshöhen aufschwingt, ist neben der Freude am Gesang sicher das Verdienst von der aus Russland stammenden Natalia Heidorn, die während der Übung am Donnerstagabend am Klavier sitzt, engagiert mitsingt, aber auch ein aufmerksames Auge auf ihre Schützlinge hat. Körper- und Mundhaltung werden korrigiert, den Stimmen die Einsätze signalisiert. Und jeder und jedem ist anzumerken, dass immer das Beste gegeben wird.

„Ja, ich bin streng, schließlich arbeiten wir hier an der Qualität“, gibt Natalia Heidorn zu, die in Moskau acht Jahre Chorleitung studiert hat und der kein falscher Ton entgeht.

„Bei den Proben bin ich nicht immer zufrieden, aber bei den Konzerten ist mein Chor stets in Hochform“, sagt die Dame über ihre Schützlinge, die ihr ein vorzügliches Zeugnis ausstellen. „Wir haben viel von ihr gelernt“, bestätigt auch Ilsbeth Gopon, die 85 Jahre alt und seit 60 Jahren Mitglied des Chores ist. Nach wie vor singt sie begeistert mit und kann auf eine gesangliche Familientradition verweisen.

„Mein Vater Karl Wiegold war früher 1. Vorsitzender, da bin ich auch, und zwar freiwillig, eingetreten. Mein Mann, der auf der Zeche verunglückt ist, war hier Sänger, meine Tochter und mein Schwiegersohn singen mit“, und dann schaut sie eine junge Damen direkt neben sich an: „Meine Enkelin Svenja singt ebenfalls bei Crescendo.“

Die Gesangs-Themen haben sich verändert, seit Natalia Heidorn vor sechs Jahren den Dirigentenstab übernommen hat. „Bis dahin hatten wir überwiegend deutsches Liedgut bevorzugt. Aber seit Frau Heidorn den Chor leitet, haben wir uns international orientiert und singen Lieder aus Musical und Operette“, erzählt Dietmar Scholz, der zusammen mit Elke Klammt den Vorstand bildet. Er hat einiges an Geschichte des im Oktober 1893 gegründeten Männergesangvereins mitgeschrieben.

Damals waren es noch hunderte von aktiven Sängern und passiven Mitgliedern, die zum Arbeitersängerbund gehörten. Der tägliche Kampf sollte beim Gesang in der Dorfschänke für ein paar Stunden vergessen werden. Allerdings standen die kaiserlichen Gesetze einem „Arbeiter-Verein“ entgegen. Man nannte sich fantasievoll „MGV Niegedacht“ und probte sonntags im Keller.

Der Erste Weltkrieg brachte den Gesang in Sprockhövel fast zum Erliegen. Nach 1918 erholte sich der Verein, der später „Vorwärts“ hieß und sogar eine Damenabteilung angliederte. Doch mit Beginn der Nazi-Diktatur, wurde alles anders. Was den braunen Machthabern nicht in den arischen Kram passte, wurde zerstört und verbrannt. Das Vereinsvermögen beschlagnahmt. Lediglich die Vereinsfahne konnte gerettet werden, weil sie im Keller unter Kohlen und Kartoffelkisten versteckt worden war.

1945 ging es wieder bergauf, allerdings nicht ohne Misstöne, wie beim missglückten Versuch, sich mit dem MGV 1877 Sprockhövel zu vereinigen. Der Verein trug bis 2013 den Namen „MGV-Vorwärts-Glückauf“. Seitdem nennt man sich wegen des überwiegenden weiblichen Anteils an der Singgemeinschaft „Crescendo Gemischter Chor Sprockhövel“ und freute sich am 7. Oktober dieses Jahres anlässlich des festlichen Jubiläumskonzertes mit den Gästen Anna Christin Sayn (Sopran) und Stefan Kaminski (Tenor) über die Ehrenurkunde des Präsidenten des Chorverbandes Deutschland.

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