Polizeiskandal Sonderermittler: So verschwanden Lügde-CDs

Düsseldorf · Der Bericht von Sonderermittler Ingo Wünsch offenbart „schwere handwerkliche Fehler“. Reul widerspricht den Vorwürfen: Personalmangel sei nicht Ursache.

 Es sei alles noch viel schlimmer, als er gedacht habe – das sagt Innenminister Herbert Reul (CDU) im Innenausschuss.  Foto: dpa

Es sei alles noch viel schlimmer, als er gedacht habe – das sagt Innenminister Herbert Reul (CDU) im Innenausschuss. Foto: dpa

Foto: dpa/Federico Gambarini

. Der Bericht von Sonderermittler Ingo Wünsch zu seiner Jagd nach den verschwundenen Beweisstücken von Lügde wird am Dienstag im Innenausschuss des Landtags, der zu einer Sondersitzung zusammengekommen ist, mit andauerndem Kopfschütteln verfolgt. Von Innenminister Herbert Reul (CDU) mit zusammengekniffenen Lippen. Es habe „schwere handwerkliche Fehler“ gegeben, sagt Wünsch. Gefunden hat er die Asservate bislang nicht.

Bei Null habe sein Team bei den Verwaltungsermittlungen beginnen müssen, da die eigene Suche der Kreispolizeibehörde Lippe seit dem Entdecken des Verlustes am 30. Januar „nicht als Grundlage belastbar“ gewesen seien. So viel weiß er bis jetzt: Die Asservate seien am 6. Dezember sichergestellt, aber „völlig unzureichend“ dokumentiert worden. Am 13. Dezember übergab ein Polizist auf dem Flur wohl einen Alukoffer sowie eine Mappe mit den fraglichen Beweisstücken an einen jungen Kommissaranwärter – bis heute sei nicht zu klären, von wem dieser Auftrag zur Sichtung eigentlich kam; dem jungen Polizisten selbst sei keinerlei Vorwurf zu machen.

Dieser zog sich in ein Büro zurück und soll die 155 CDs in nur fünf Stunden durchforstet haben; das sei „äußerst sportlich“ sagt Wünsch über die Gründlichkeit. In diesem Büro seien der Koffer und die Mappe auch geblieben, statt in den Asservatenraum zurückzugelangen. „Die Tür steht werktäglich nahezu offen“, betont der Sonderermittler. Seither habe es nur eine Beamtin gegeben, die meint, den Koffer am 20. Dezember noch gesehen zu haben – sicher sei das nicht. „Die Asservate sind in einem Zeitraum von 40 Tagen verschwunden“, so Wünsch. Selbst wenn man sie noch finden sollte, sei völlig offen, ob man sie vor Gericht noch einsetzen könnte – schließlich könnten sie in der langen Zwischenzeit manipuliert worden sein. Dennoch sei das gesamte Gebäude nebst weiteren Liegenschaften komplett durchsucht worden. Ohne Erfolg. Dass mehr als hundert neue Beweisstücke erst jetzt bei seinen Nachforschungen auf dem Campingplatz entdeckt worden seien, ist „für mich unerträglich“, erklärte Wünsch.

Beweise sind jetzt in einer speziellen Cloud gesichert

Innenminister Reul widersprach Vorwürfen, die Kreispolizeibehörde Lippe sei in der Vergangenheit personell ausgeblutet. Er stehe fest hinter der Polizei und die Kritik verletze ihn. Aber: „Wenn ich die Tür zu einem Asservatenraum offen lasse, hat das nichts mit Personalmangel zu tun“, betonte er. Zudem habe es bis zu seiner Entscheidung Ende Januar, die Ermittlungen an das Präsidium Bielefeld zu übertragen, keinerlei Überlastungsanzeige gegeben. Vielmehr hätten die Polizei vor Ort und die Staatsanwaltschaft Detmold stets vermittelt, die Ermittlungen selbst zu bewältigen. Grünen-Obfrau Verena Schäffer sieht hier ein klares Versäumnis des Innenministers: Bei 14 Terabyte Datenmaterial hätte dennoch klar sein müssen, dass eine kleine Kreispolizeibehörde überfordert ist.

Inzwischen ist eine 60-köpfige Ermittlungskommission – die „EK Eichwald“ – in mehreren Polizeipräsidien mit der Auswertung betraut, die auch auf die Spur des siebten Beschuldigten (16) aus der Region geführt habe. Wie Dieter Schürmann, Kriminaldirektor im Innenministerium, erklärte, sei das umfangreiche Material jetzt in eine speziell gesicherte Cloud „auf dem neuesten Stand der Technik“ hochgeladen, auf die die Spezialisten zugreifen. Sie seien über moderne Videokonferenztechnik zudem in ständigem Austausch.

Auch die von Reul angekündigte neue Auswertesoftware ist nunmehr im Einsatz, in die die Mitglieder der Ermittlungskommission noch eingearbeitet werden mussten. Schürmann betonte, man habe bislang „keine Anhaltspunkte“ für weitere Missbrauchsopfer gefunden – bislang sind 31 Opfer bekannt.

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