Risikogruppe 29 Corona-Tote in NRW-Pflegeheimen - Was tun für besseren Schutz?

Düsseldorf · In NRWs Pflegeheimen fehlt es in der Corona-Krise besonders an Schutzmaterial für das Personal. Doch auch hier gibt es immer wieder Infizierte - mit dramatischen Folgen und bislang mindestens 29 Toten. Wie kann man die gefährdete Klientel in den Heimen besser schützen?

 Symbolbild

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Foto: dpa/Tom Weller

Wer im Altenpflegeheim arbeitet, ist den Umgang mit schwerer Krankheit und Tod durchaus gewohnt. Doch in der Corona-Pandemie, wenn die Zahlen von Infizierten unter hochbetagten Bewohnern nach oben gehen und damit die Furcht vor einer Vielzahl von Corona-Toten in kurzer Zeit steigt, ist die Branche alarmiert. In Nordrhein-Westfalens stationären Pflegeeinrichtungen zählt das Gesundheitsministerium bislang mit Stand Montagabend 268 Bewohner mit einer Coronavirus-Infektion. Mindestens 29 Menschen starben.

Braucht es jetzt Ausgehsperren für Heimbewohner um Schlimmeres zu vermeiden? Aufnahmestopps, wie Niedersachsen sie verhängt hat. Dort starben etwa in Wolfsburg 17 Menschen mit einer Corona-Infektion. Es braucht vor allem Augenmaß bei den Entscheidungen, mahnen Pflegeexperten. Und flächendeckend mehr Material und mehr Tests für Bewohner und Personal.

Allein im Heinrich-König-Seniorenzentrum in Bochum hat eine Infektionswelle fünf Menschen das Leben gekostet. Die Awo-Einrichtung mit ihren 100 Bewohnern steht unter Quarantäne, zehn weitere Bewohner, die positiv auf das Virus getestet wurden, sind in einem gesonderten Bereich unterbracht, wie eine Sprecherin der Awo Westliches Westfalen mitteilte. Alle Bewohner dürfen ihre Zimmer nicht mehr verlassen: „Vor allem die Menschen, die nicht dement oder bettlägerig sind, leiden unter der Situation“, so die Sprecherin. Auch in Emsdetten ist eine Einrichtung mit sechs Erkrankten Bewohnern isoliert worden. Der Kreis Viersen berichtete am Dienstag von einem zweiten Toten nach Corona-Infektion in einem Heim in Niederkrüchten, in dem allein 27 Bewohner und neun Mitarbeiter infiziert seien.

„Es gibt nicht eine Lösung für alle“, sagte Frank Wübbold, Leiter der Fachgruppe Alter und Pflege beim Paritätischen Wohlfahrtsverband NRW. Aufnahmestopps seien beispielsweise dann problematisch, wenn nicht sichergestellt sei, wie Pflegebedürftige stattdessen versorgt werden können. Auch Ludger Risse, Vorsitzender des Pflegerates NRW, hält wenig davon: Das Problem werde verlagert, sagte er. Dem insgesamt unter Druck stehenden Pflegesystem sei nicht geholfen, wenn Patienten aus den Krankenhäusern nicht entlassen werden könnten, weil ihre pflegerische Versorgung im Anschluss nicht gewährleistet sei.

Gegen generelle Aufnahmestopps sprach sich auch das Gesundheitsministerium auf Anfrage der Deutschen Presse-Agentur aus: „Aus unserer Sicht sollten aber neu aufgenommene Personen zunächst isoliert und nur von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern versorgt werden, die sich ausschließlich um diese Personen kümmern.“

Um das Risiko der Ansteckung in den Pflegeeinrichtungen mit ihrer so hochgradig gefährdeten Klientel zu vermeiden, brauche es zum einen Zeit und Fachwissen, um Hygienemaßnahmen präzise und wirksam umzusetzen. „In der schon lange vor der Corona-Krise angespannten Situation fehlt es sowieso an Personal und damit auch an Zeit“, sagte Risse. Auch sei nicht jeder Altenpfleger auf eine Behandlung von Infektionskrankheiten vorbereitet.

Nicht weniger dramatisch sei der längst zugespitzte Mangel an Schutzausrüstung und Desinfektionsmitteln: „Wenn es überhaupt noch Material gibt, dann ist bei den meisten das Ende schon in Sicht“, sagte Risse. Es gebe auch Einrichtungen, die ihre Mitarbeiter einem ungeschützten Kontakt aussetzen oder improvisierten Schutz anbieten müssten. Die Sorge, dass durch unterschrittene Hygienestandards infiziertes aber symptomfreies Personal Heimbewohner anstecke, sei bei vielen da. „Das macht mir tiefe Sorgenfalten“, sagte Risse.

Der Paritätische Wohlfahrtsverband setzt sich daher für mehr Tests in stationären Einrichtungen ein - für Bewohner und das Personal. „Wenn wir mehr Testkapazitäten zur Verfügung hätten, ließe sich das Risiko einer Ausbreitung senken. Es ist nicht einzusehen, dass das Pflegepersonal, das ja auch zur kritischen Infrastruktur gehört, nicht auch bei Corona-Tests priorisiert wird“, sagte Wübbold. Gleichzeitig halte er es für zwingend, neue Bewohner zu testen: „Eigentlich dürfte niemand, der aus dem Krankenhaus kommt, ohne Negativtest in eine stationäre Einrichtung wechseln“, sagte Wübbold.

Sinnvoll sei es zudem, neue oder rückkehrende Bewohner zwei Wochen lang in Quarantäne zu nehmen, um die anderen Bewohner vor einer möglichen Infektion zu schützen. Das mache aber auch nur Sinn, wenn die Isolation vernünftig durchführbar sei und genug Schutzmaterial wie Masken und Kittel zur Verfügung stehe. Doch auch Wübbold weiß: „Es reicht gerade hinten und vorne nicht“.

Scharfe Kritik übte die Deutsche Stiftung Patientenschutz in Dortmund an den Entscheidungsträgern: NRW schlittere mit seinen 164 000 Pflegebedürftigen in Heimen unvorbereitet in die Krise, sagte Stiftungsvorstand Eugen Brysch. „Es fehlt schlichtweg am Grundschutz. Heime, Pflegedienste, Kommunen und das Land haben hier nicht ausreichend vorgesorgt.“ Die Hilfsmittel müssten endlich zentral beschafft und verteilt werden. Dazu brauche es in jeder Stadt eine Taskforce, in der Ärzte und Pflegekräfte zusammenarbeiten und dort eingreifen, wo es am meisten brenne. Auch bei den Tests müssten Pflegebedürftige, Heimbewohner und ihre Helfer bevorzugt in den Blick genommen werden, forderte Brysch.

(dpa)
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