Shakespeare-Festival: Ein böses Spiel von großer Intensität

Das Tang Shu-Wing-Theater zeigt „Titus Andronicus“.

Neuss. Das war schon ein Theaterabend der besonderen Art — auch für das an ungewöhnlichen, herausragenden Inszenierungen nicht eben arme Shakespeare-Festival. Das nach dem Regisseur benannte Tang Shu-Wing-Ensemble aus Hongkong brachte das selten gespielte Frühwerk „Titus Andronicus“ auf die Bühne — auf kantonesisch.

Die Zuschauer erlebten eine extrem intensive Aufführung, der man sich nicht entziehen konnte. Der „Titus“ ist Shakespeares grausamstes Werk. Es wird gemordet, verstümmelt, vergewaltigt. Es werden Intrigen gesponnen und Fallen gestellt. Wilde Verzweiflung und tiefe Trauer, Rachsucht und Hass beherrschen die Handlung, die keinerlei Hoffnung erkennen lässt. Ein böses Spiel.

Der titelgebende Titus ist römischer Feldherr, der nach erfolgreichem Kampf gegen die Goten mit deren gefangener Königin und ihren Söhnen zurückkehrt. Da er selbst 21 seiner 25 Söhne im Krieg verloren hat, lässt er auch den ältesten Sohn der Königin töten. Die wird Frau des Kaisers, Geliebte des intriganten „Mohren“ Aaron — und das Verhängnis, das sich seit der Anfangssequenz andeutet, nimmt seinen unerbittlichen Lauf. Nur zehn der zwölf Hauptfiguren überleben.

Tang Shu-Wing inszeniert die grausame Geschichte — der Handlung ließ sich dank des Programmhefts und der englischen Übertitelung gut folgen — mit einer ganz eigenen Ästhetik. Die reduziert einerseits das Geschehen und setzt gleichzeitig die Zuschauer fast schutzlos den über die hereinbrechenden Emotionen aus. Leer ist die Bühne, die Darsteller sind — je nach ihrer Gruppenzugehörigkeit — schwarz, grau oder weiß gekleidet. Die Vergewaltigung der Titus-Tochter Lavina spielt sich hinter der Bühne ab — ihr Schrei ist Indiz genug. Mit roten Handschuhen und Lippenstift zeigt Tang Shu-Wing, was ihr die Söhne der Gotenkönigin danach antun: Die Zunge herausgeschnitten, die Hände abgeschlagen.

Mit einer fast meditativen und doch spannungsgeladenen „Om“-Sequenz endet die Inszenierung. Die Zuschauer wird sie nicht so schnell beruhigt haben. Das Publikum dankte für die ebenso überzeugende wie unerbittliche Inszenierung eines trostlosen Stücks mit starkem Beifall.

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