Opfer, die nicht erwachsen wurden

Die Ausstellungswaggons standen zwei Tage am Hauptbahnhof. Viele Jugendliche zeigten sich ergriffen.

Neuss. Die meisten Jugendlichen, die sich an diesem Samstag die Ausstellung im „Zug der Erinnerung“ ansehen, gehen sehr langsam durch die abgedunkelten Waggons, sie lassen sich Zeit. Diese Ausstellung, an der die Deutsche Bahn nicht beteiligt ist, zieht seit Jahren durch Deutschland. Zwei Tage hat der Zug nun auf Gleis zwei des Neusser Hauptbahnhofs gestanden und mit seiner Ausstellung an die Hunderttausende Kinder und Jugendliche erinnert, die mit der Reichsbahn in Konzentrations- und Vernichtungslager deportiert wurden.

Vor allem in den ersten Abteilen, in denen die Biografien der Opfer beschrieben werden, verweilen die Besucher. Sie schauen sich lange Fotos an, die teilweise Kleinkinder zeigen, teilweise Jugendliche in ihrem Alter.

Lukas (17, hat den Zug der Erinnerung in seinem Heimatort Grevenbroich verpasst und ist nun nach Neuss gekommen. „Das Thema ist nicht neu für mich“, sagt er. Er hat in Berlin das jüdische Museum besichtigt und sich auch in anderen Städten Ausstellungen zu diesem Thema angesehen. Dennoch „hat mich die Darstellung der einzelnen Schicksale und die jeweilige Begründung für ihre Deportation schockiert“, sagt er ergriffen. Gut fand Lukas, dass im zweiten Teil der Ausstellung auch die Täter benannt werden: all jene Leute, die auf verschiedenen Ebenen für die Reichsbahn gearbeitet haben und mitverantwortlich waren für die hohe Zahl der Deportationen.

Isabelle und Christian, beide 15 Jahre alt, haben sich die Ausstellung gemeinsam angeschaut und sind sichtlich bewegt. „Das war eine krasse Erfahrung“, meint Isabelle: „Viele der getöteten Kinder waren doch in unserem Alter.“ Richtig erbost sind beide darüber, dass die Mitarbeiter der Reichsbahn nach Kriegsende nicht zu Rechenschaft gezogen wurden.

Auch jüngere Kinder gehen in die Ausstellung. Rebekka (11) ist mit ihrem Vater gekommen. „Mich interessieren die Schicksale der Kinder“, sagt sie.

Seit der Lektüre des Tagebuchs der Anne Frank interessiert sie sich für den Nationalsozialismus. Nach der Besichtigung hat sie ihre Eindrücke in ein eigens dafür ausgelegtes Buch geschrieben.

Während es am Freitag einen Andrang von Schulklassen gab, kamen am Samstag vor allem ältere Jugendliche, Kinder mit ihren Eltern, aber auch viele ältere Besucher. Einige waren nach der Besichtigung gerührt.

„Für die Schulklassen haben wir vor der Besichtigung eine Einführung angeboten, damit sie wissen, was auf sie zukommt“, sagt Fanad Laghmouch, ein Betreuer der Ausstellung. In der Ausstellung selbst wird aber bewusst darauf verzichtet, Tote zu zeigen. Ziel des „Zuges der Erinnerung“ sei es, Jugendliche für das Thema zu interessieren und zu sensibilisieren und „sie nicht durch schreckliche Bilder zu ängstigen“, erläutert Laghmouch.

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