Niemand kauft Öko-Strom

Dirk Hunke, Vertriebschef der Stadtwerke, verweist auf die Bedeutung des Wärmemarktes.

Neuss. Die Schlagwörter vermengen sich, und das macht es dem interessierten Verbraucher nicht einfacher, den Überblick zu behalten. Energiewende und Atomausstieg, Klimaschutz, Förderung regenerativer Energien und Effizienzsteigerung — wie passt das zusammen? Und was kann sich vor dem Hintergrund globaler Zusammenhänge in der Heimatstadt tun? Themen, die Dirk Hunke, Einkaufs- und Vertriebschef der Stadtwerke, täglich bewegen. Für ihn steht fest: Die aktuelle Zeit des Umbruchs mit allen Unwägbarkeiten kann für lokale Stadtwerke durchaus eine Chance sein. „Der Verkauf von Strom und Gas wird in zehn Jahren nicht mehr das Kerngeschäft der Stadtwerke sein. Dann wird es vielmehr um effizientere Lösungen bei der Wärmeerzeugung gehen.“

Dennoch ist derzeit noch der Vertrieb von Strom und Gas das Hauptgeschäft. Für 2012 ist fast die komplette Strommenge über Händler an der Leipziger Strombörse gekauft, etwa 390 Gigawattstunden. Auch 2013 ist überwiegend „gebucht“, und die ersten Bestellungen für 2014 sind angelaufen.

Mit oder ohne Atomstrom? An der Leipziger Börse gehe es ausschließlich um Mengen — und den Preis, erläutert Hunke. Der Leipziger „Energiesee“ besteht nach Stand 2009 zu gut 17 Prozent aus erneuerbaren Energien, zu 25 Prozent aus Atomkraft und knapp 58 Prozent aus fossilen und sonstigen Energien.

Dennoch werben die Stadtwerke nach der Übernahme der Stromsparte von RWE seit Januar 2010 mit dem „grünen Strom“, den sie ausschließlich ihren Kunden anbieten. Dies ist allerdings ein „virtuell grüner Strom“, wie Hunke erläutert. Die SWN kaufen pro Jahr für mehrere 100 000 Euro TÜV-geprüfte Zertifikate über Strom aus norwegischen Wasserkraftwerken: eine Summe, die nicht in den Neusser Strompreis eingerechnet werde, wie Hunke betont. Somit sei der Neusser Strom rein statistisch zu 100 Prozent regenerativ — auch wenn er aus dem Energiesee aus Leipzig stammt.

Anders verhält es sich mit „Öko-Strom“ (SWN-Energreen 50). Der Neusser Stromkunde zahlt einen Aufpreis von brutto 2,38 Cent je Kilowattstunde, diese Summe wird über Zertifikate in neue regenerative Stromerzeugungsanlagen investiert. Etwa 80 Euro pro Jahr macht das an Mehrausgaben für einen durchschnittlichen Vier-Personen-Haushalt aus, rechnet Hunke vor. Doch nach wie vor will niemand in Neuss diesen Öko-Strom haben.

Für Dirk Hunke allerdings ist die Frage des Stromvertriebs zwar eine wichtige, aber im großen Zusammenhang nicht die wirkliche Herausforderung. „Der Wärmemarkt ist entscheidend, das wird oft vergessen“, sagt er. Eine wirkliche Energiewende sei nur durch umfassende energetische Gebäudesanierung und dann das Beheizen mit regenerativ erzeugter Wärme zu schaffen. Und da ist er dann wieder ganz in Neuss: „Das wird unser Kerngeschäft. Und das ergibt eine Renaissance der Stadtwerke.“

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