Experiment in Neuss Juristen trinken zu Forschungszwecken

Neuss. · Das betreute Experiment soll klären, wie Alkohol das Bewusstsein beeinflusst.

 Um in einem Strafverfahren besser urteilen zu können, wagen angehende Juristen ein ungewöhnliches Experiment. Sie trinken bis zu einer festgelegten Promillegrenze.

Um in einem Strafverfahren besser urteilen zu können, wagen angehende Juristen ein ungewöhnliches Experiment. Sie trinken bis zu einer festgelegten Promillegrenze.

Foto: dpa

Es ist ein eher ungewöhnliches Experiment, das im November im Neusser Drusushof stattfinden wird. Auf Einladung des „Bundes gegen Alkohol und Drogen im Straßenverkehr“ (BADS) kommen Rechtsreferendare in die Gaststätte an der Erftstraße, um „kontrolliert zu trinken“. Das heißt, dass sie solange alkoholische Getränke zu sich nehmen, bis sie eine bestimmte Promille-Grenze – in der Regel 0,6 – erreicht haben. Der Hintergrund des Selbstexperiments: Die angehenden Juristen möchten wissen, inwieweit ein bestimmter Grenzwert das eigene Bewusstsein beeinflusst, um Situationen später – zum Beispiel in einem Strafverfahren – besser einschätzen zu können. Doch es wird nicht nur getrunken. Die Rechtsreferendare werden auch mit den nötigen Hintergrund-Informationen zum Thema Alkohol und dessen Wirkung auf Körper und Psyche versorgt.

Dafür sorgt an diesem Abend Thomas Daldrup, Toxikologe und ehemaliger Hochschullehrer an der Heinrich-Heine-Universität in Düsseldorf. Der 69-Jährige ist eine Koryphäe auf seinem Gebiet, wurde unter anderem für die Kriminalserie „Medical Detectives“, in der spektakuläre Kriminalfälle behandelt werden, als Experte interviewt. Jahrelang leitete der Kaarster die Forensische Toxikologie, später auch die Blutalkohol-Untersuchungsstelle am Düsseldorfer Institut für Rechtsmedizin. Heute ist er im (Un)Ruhestand. So erstellt er unter anderem forensische Gutachten als Gerichtssachverständiger und kann in Lehre und Forschung tätig sein.

Einer seiner spannendsten Fälle, in denen er als Experte eingebunden war, ist erst wenige Jahre her. Ende 2017 war der Betreiber ehemaliger Luxus-Bordells in Düsseldorf zu einer mehrjährigen Haftstrafe verurteilt worden. In den Etablissements sollen zahlreiche Freier mit Drogen betäubt und ausgeplündert worden sein. Die Aufgabe von Thomas Daldrup war unter anderem nachzuweisen, dass die Freier zum Tatzeitpunkt tatsächlich nicht mehr „Herr ihrer Sinne“ und somit nicht geschäftsfähig waren. Dabei machte der Experte auch Gebrauch von einer alten Methode: der Auswertung von Schriftproben. Die Verhandlung war so langwierig und schwierig, weil sich die Zeugen wegen Alkoholisierung beziehungsweise Betäubungsmittelkonsums nur lückenhaft an die Geschehnisse erinnern konnten.

Daldrup wird als „Leuchtturm“
der Rechtsmedizin bezeichnet

Vom BADS wurde Daldrup jetzt mit der Senator-Lothar-Danner-Medaille in Gold ausgezeichnet. Der Präsident des BADS, der Münchner Jurist Peter Gerhardt, bezeichnete den Kaarster in seiner Laudatio als „Leuchtturm der deutschen Rechtsmedizin“. Mit seiner umfangreichen wissenschaftlichen Forschung habe Daldrup entscheidende Impulse zu mehr Verkehrssicherheit in Deutschland gegeben. Gerhardt verwies in diesem Zusammenhang unter anderem auf Forschungsprojekte zu Cannabis und Heroin im Straßenverkehr sowie zu alkoholbedingter Fahrunsicherheit beim Fahrradfahren.

Eine Schwierigkeit, die Daldrup bei seinen Forschungen immer wieder begleitet: die Individualität der Wirkung von Alkohol und Drogen. So sei der Grad der Beeinflussung beim jeweiligen Konsumenten nicht nur abhängig von der Einzeldosierung des Rauschmittels, sondern auch von der Zeitspanne zwischen dessen Aufnahme und dem Führen eines Fahrzeugs. Ein nahezu unerforschtes Gebiet ist das Fahren eines E-Scooters unter Einfluss von Alkohol. „Das werden wir jetzt erforschen“, sagt der Experte. Das Problem: „Durch die Roller gibt es völlig neue Anforderungen an den Fahrer. Er muss sich zum Beispiel nicht anstrengen, um vorwärts zu kommen sowie es beim Fahrrad der Fall ist“, sagt der 69-Jährige. Hinzu komme, dass das Bewusstsein bei E-Scooter-Fahrern, von anderen Verkehrsteilnehmern nicht gehört zu werden, unter Alkoholeinfluss womöglich entfallen könnte.

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