Neuss/Clemens-Sels-Museum: Blick ins Paradies der Naiven

Die moderne primitive Kunst feiert am Obertor Triumphe. Bilder von Rousseau und seinem Umkreis sind ab Sonntag zu sehen.

Neuss. Eine Schatzkiste moderner, primitiver Kunst öffnet die neue Leiterin und Kuratorin des Clemens-Sels-Museums, Uta Husmeier-Schirlitz, am Sonntag. "Auf eigenen Wegen" nennt sie die Schau der 140 traumhaft schönen Bilder und Skulpturen aus eigenen Museumsbeständen sowie die vier Leihgaben von Henri Rousseau aus Privatbesitz.

Wenn alles gut geht, wird die Initiatorin der größten deutschen Naiven-Sammlung, Irmgard Feldhaus, im Rollator am Festakt teilnehmen. Die Vorvorgängerin von Husmeier-Schirlitz hat sich ein Bein gebrochen, freut sich aber auf den Beifall der Gäste.

Als Irmgard Feldhaus 1965 mit den ersten fünf Gemälden und 35 Zeichnungen von Adalbert Trillhaase das Fundament für eine der größten Sammlungen der Kunst von Autodidakten legte, befanden sich die "Klassiker der französischen Naiven", André Bauchant, Camille Bombois, Séraphine Louis und Louis Vivin, noch nicht im Louvre oder in der Tate Galerie.

Die Bilder waren meist erschwinglich. Die Familien der Gärtner, Bauern, Tagelöhner, Hirten, Ringkämpfer, Nachtarbeiter, Straßenfeger, Bettler, Boxer, Putzfrauen und Boten fristeten ein ärmliches Leben und verkauften ihre Kunst zu Spottpreisen.

Was den in Neuss versammelten Künstler-Kreis vereint, ist die Unbefangenheit gegenüber Stilen und Trends. Keiner dieser Phantasten, Träumer und Bilderzähler hatte je eine Akademie von innen gesehen.

Sie mussten die Tradition nicht über Bord werfen, weil sie gar nicht wussten, was das ist. Sie malten die "Gebrüder Muckensausen", umgaben Jesus bei der Taufe im Jordan mit einer barocken Draperie oder Adam und Eva mit Spitzenhöschen anstelle von Feigenblättern.

Sie legten sich neue Rollen zu, traten als Bischof, Nikolaus oder Spaziergänger auf. Zuweilen umgaben sie ihre Bilder auch mit Texten, wie es Eduard Odenthal tat. Neben seinen Vierbeiner schrieb er mitten aufs Bild: "Der Panther ist ein wildes Tier. Das zeugen seine Zähne hier. Und weil er ist ein böses Viech, drum mag ich ihn auch nicht".

Sie mischten Religion und Mystik, Postkarten-Realität und magische Ort, oder sie betteten ihr Selbstbildnis in eine paradiesische Natur, wie es Emma Stern mit ihrem Alter Ego tat. Aber eines verstanden sie nicht: Die Kunst des Geldverdienens. Sie waren arme, aber glückliche "Schlucker".

Als Henri Rousseau, der Vater der modernen primitiven Kunst, 1910 in einem Armengrab beigesetzt wurde, finanzierten die Jahrhundertmaler Pablo Picasso und Robert Delaunay die Grabstätte. Der Bildhauer Constantin Brancusi bearbeitete den Grabstein.

Die Kunst des "Zöllners", des "Naiven", des "malenden Simplizissimus", war bei der Avantgarde in Paris geschätzt, aber noch nicht bei den Käufern. Heute hängen die Werke der Naiven und modernen Primitiven in den Museen der Welt, und nun auch wieder im Clemens-Sels-Museum.

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