Neuss Jüdische Gemeinde in Sorge wegen zunehmender Hetze

Bei der Gedenkveranstaltung vor dem Rathaus übt Redner Bert Römgens auch Kritik am AfD-Landtagskandidaten.

Bert Römgens sprach am Holocaust-Gedenktag in einer Feierstunde vor dem Rathaus für die jüdische Gemeinde.

Bert Römgens sprach am Holocaust-Gedenktag in einer Feierstunde vor dem Rathaus für die jüdische Gemeinde.

Foto: M. Vanderfuhr

Neuss. Juden in Deutschland sehen Antisemitismus unter Muslimen als immer größeres Problem. Internet und soziale Medien seien zu zentralen Verbreitungskanälen judenfeindlicher Hetze geworden, heißt es in einem Expertenbericht, der am Montag, dem Holocaust-Gedenktag Jom Hashoa, veröffentlicht wurde. Doch die Menschen in den jüdischen Gemeinden haben noch mehr Grund zur Sorge. „Antisemitismus und rassistische Ausgrenzung werden wieder Alltag“, sagte Bert Römgens von der jüdischen Gemeinde am Montagabend bei einer Gedenkfeier vor dem Neusser Rathaus — und meinte auch die Alternative für Deutschland (AfD).

Es scheine normal zu werden, dass Begriffe wie „völkisch“ oder „Umvolkung“ im Alltag genutzt werden, sagte Römgens, der das mit Beispielen aus nächster Nachbarschaft belegte. „Hier in unserer Stadt nutzt ein Kandidat, der in den Landtag will, offen den Begriff Umvolkung“, sagte Römgens mit Blick auf den AfD-Kandidaten Michael Schilder. Das sei eindeutig Naziterminologie, stellte Römgens fest, deren Verwendung dazu führe, „dass die braune Vergangenheit Deutschlands bagatellisiert wird und die Opfer dieses Unrechtssystems, sechs Millionen Menschen, die bestialisch ermordet wurden, verhöhnt werden.“

Genau das macht auch Bürgermeister Reiner Breuer Sorge. „Immer noch werden Menschen wegen ihres Glaubens angefeindet und ausgegrenzt, immer noch gibt es Unverbesserliche, die die Gräueltaten der Nationalsozialisten beschönigen wollen“, sagte er. Andererseits freue er sich darüber, dass es in Neuss wieder jüdisches Leben gebe, das mit dem Alexander-Bederov-Zentrum an der Leostraße einen Kristallisationskern besitzt.

Dass es nach dem Schrecken des Holocausts wieder eine jüdische Gemeinde in Neuss gibt, ist nach Römgens’ Überzeugung auch dem ehemaligen Beigeordneten Ernst-Horst-Goldammer zu verdanken, der am Osterwochenende gestorben war und gestern in seiner Heimatstadt Hilden beigesetzt wurde. Goldammer hatte sich gewünscht, an der Shoa-Gedenkfeier teilzunehmen, bei der die Namen der 204 Neusser jüdischen Glaubens verlesen wurden, die während der Zeit des Nationalsozialismus verschleppt und ermordet worden waren. Stellvertretend für ihn reihte sich sein Freund Dieter Weißenborn in die Reihe derer ein, die die Opfer von einst beim Namen nannten.

Der Ort dieser inzwischen dritten Namenslesung war nicht zufällig gewählt. „Hier vor dem Neusser Rathaus“, erinnerte Bürgermeister Reiner Breuer, „stiegen am 26. Oktober 1941 Menschen jüdischen Glaubens in eine Straßenbahn ein. Sie sollten ihre Heimat nie wiedersehen.“ Denn ein Sonderwagen brachte die enteigneten und entrechteten Menschen zum Güterbahnhof nach Düsseldorf, von wo aus sie in Güterwaggons ins polnische Lodz deportiert wurden.

„Ihre Namen sind auf dem Mahnmal an der Promenadenstraße eingraviert“, sagte Breuer. Und jeder einzelne erinnere daran, dass so etwas nicht noch einmal geschehen darf.

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