Eine rostige Stele gegen das Vergessen

Die Skulptur zur Erinnerung an die Zwangsarbeiter ist am Freitag eingeweiht worden. Schüler lasen aus alten Dokumenten.

Neuss. Dort, wo während des Zweiten Weltkrieges Menschen aus ganz Europa Zwangsarbeit verrichtet haben, steht heute eine Gedenkstele. Sie ist aus unbehandeltem Stahl gefertigt, der im Laufe der nächsten Wochen immer stärker rosten wird. Die Stele soll an den Rassismus und die Diskriminierung erinnern, die die Zwangsarbeiter in Neuss erleiden mussten. Am Freitag wurde sie offizielle eingeweiht.

„Die heutige Einweihung der Stele zur Erinnerung an die Zwangsarbeiter ist gewiss eine späte, damit aber nicht weniger wichtige Geste der Versöhnung“, sagte Bürgermeister Herbert Napp. Kurzerhand war die Eröffnung aufgrund des schlechten Wetters in das Haus am Pegel verlegt worden. Während es draußen ohne Unterlass regnete, fand Napp drinnen lobende Worte für die Fertigstellung der Stele. Er machte aber auch deutlich, dass man nun keinen Schlussstrich unter das Thema Zwangsarbeit ziehen könne. „Wir können es nicht ungeschehen machen oder entschuldigen, wollen es aber auch nicht vergessen.“

Im Anschluss an die Rede des Bürgermeisters kamen Schülerinnen des Marienberg-Gymnasiums zu Wort. Sie hatten sich im Leistungskurs Geschichte mit dem Thema Zwangsarbeit in Neuss beschäftigt.

„In drei Baracken lebten über 100 Mädchen. Oft flogen drei bis vier Mal Flugzeuge nachts über uns. Dann mussten wir in den Bunker unter der Fabrik gehen“, las eine Schülerin aus den Erinnerungen einer jungen Polin vor, die in ihrer Heimatstadt aufgegriffen und nach Neuss verschleppt wurde. Eindrucksvoll schilderten die Schülerinnen, wie die Zwangsarbeiter in Neuss lebten, was ihnen fehlte und wie sie ausgebeutet wurden. Immer wieder flochten sie Zitate, Gedichte und Erinnerungstexte der Betroffenen ein.

In Neuss hatte der Rat 1999 beschlossen, dieses dunkle Kapitel der Stadtgeschichte wissenschaftlich ausarbeiten zu lassen. 2005 präsentierten Christoph Roolf und Andrea Niewerth eine ausführliche Studie mit bislang unbekannten Quellen. 2007 wurde die Errichtung einer Gedenk—stele beschlossen. Die Einweihung sollte ursprünglich bereits im Oktober stattfinden, die noch nicht beendeten Bauarbeiten an der Promenade sorgten jedoch dafür, dass diese verschoben werden musste. Am Freitag war es endlich so weit: Im strömenden Regen konnte Bürgermeister Napp die graue Plane von der Stele ziehen und sie der Öffentlichkeit präsentieren.

Entworfen hat sie der Neusser Künstler Nils Kemmerling. „Aufgrund des Standorts war mir schon früh klar, dass ich das Thema Stahlindustrie aufgreifen muss“, sagt er. Der unbehandelte Stahl stehe vor allem für die Vergangenheitsbewältigung und dürfe gerne auch „komplett durchrosten“.

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