Betrunken in der Kinderklinik

Die Zahl der Aufnahmen steigt, Patienten werden immer jünger.

Neuss. Wenn Abifeiern anstehen, Kirmes, Technokonzert oder Karneval, können die Mitarbeiter in der Kinderklinik des Lukaskrankenhauses ganz sicher mit zusätzlichen Patienten rechen. Aber auch an den ganz normalen Wochenenden ist mittlerweile Normalität, dass Kinder und Jugendliche eingeliefert werden — sturzbetrunken.

Trotz zahlreicher Maßnahmen und Angebote in Schulen und Freizeittreffs beobachtet Klinikchef Dr. Guido Engelmann einen beunruhigenden Trend: Die Zahl dieser Patienten steigt, und sie werden immer jünger. Es sind Jungen und Mädchen ab zwölf Jahren, die hier eingeliefert werden.

Dass sie 3 Promille im Blut haben und auf der Intensivstation landen, kommt vor. „Das sagen wir ihnen aber auf keinen Fall, denn je nach Clique ist das später ein Wert zum Angeben“, sagt der Klinikchef.

Er sieht Kinder wie den 14-jährigen Jungen, der nach einem „Rhaki-Experiment“ bewusstlos in die Klinik gebracht wird. 1,8 Promille: Der Junge hat noch keine „Alkohol-Erfahrung“, ihm ist die Angelegenheit am nächsten Tag nur peinlich.

Andererseits liegen hier Jugendliche, die schon diverse Male in der Kinderklinik waren, bereits an Alkohol gewöhnt, mit hohen Promille-Werten im Blut „und einfach abgebrüht“, wie Engelmann sagt. Es gibt keine Muster. „Wir haben hier Kinder aus allen Gesellschaftsschichten, Jungen und Mädchen mit intaktem und aus schlechtem Elternhaus“, sagt der Arzt.

Er versucht, die Zeit zu nutzen, die die Kinder in der Klinik verbringen. Ausnüchtern, den Rausch ausschlafen, nach Hausse gehen — das ist für ihn nicht der richtige Weg. Wenn eben möglich, hält er die Jungen und Mädchen zwei, drei Nächte im Haus. Einerseits sagt er: „Das sind Patienten, die unsere Hilfe brauchen.“

Und gleichzeitig: „Angenehm machen wir es ihnen hier aber nicht.“ Mit einer Infusion und in Windeln aufzuwachen, schockt jedenfalls die, die zum ersten Mal in der Kinderklinik sind. Zwingend schließt sich ein Gespräch mit einer Psychologin an, der Kontakt zu den Eltern kommt hinzu. Doch Engelmann sagt auch, dass das nicht reicht.

Im Kampf gegen die stete Zunahme der Aufnahmezahlen haben sich jetzt Ärzte und Mitarbeiter der Hilfsdienste, Polizei, Vertreter von Jugend- und Sozialämtern zu einem Workshop im Lukaskrankenhaus getroffen. Mitinitiator ist Volker Wendt, der bei den Johannitern die Entwicklung der vergangenen Jahre miterlebt hat. Das gezielte Trinken bis zur Besinnungslosigkeit habe es früher nicht gegeben, sagt er.

Auf dem stark nachgefragten Workshop haben Engelmann und er angesichts dieser Entwicklung eine gewisse Hilfslosigkeit bei so manchem Teilnehmern erlebt. Doch die vielen Mitstreiter im Kampf gegen Drogenmissbrauch bei Kindern und Jugendlichen — hier wird zwischen illegalen Drogen und Alkohol nicht getrennt — wollen jetzt einen Schritt weitergehen.

An der Klinik soll eine Kinderschutztruppe aufgebaut werden, ein Netzwerk der vielen Beteiligten mit festen Abläufen. „Nach der Krisenintervention muss es nahtlos weitere Hilfe über definierte Pfade geben“, sagt der Klinikdirektor.

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