Altweiber: Macht abgeben? Macht doch nix!

Auftakt zu den tollen Tagen: Punkt 11.11 Uhr hatte die Novesia den Rathausschlüssel in der Hand.

Neuss. Es gibt diese Rituale, die einfach dazugehören. Altweiber in Neuss: Das Empfangszimmer des Bürgermeisters penibel aufgeräumt, auf dem Schreibtisch die Aktenmappen, die Arbeit vortäuschen: Darin nichts als Pressespiegel. Macht nichts, es schaut sowieso keiner rein.

Kurz bevor die organisierten Jecken in Rot-Weiß und Blau-Weiß in Reih und Glied einmarschieren, lässt sich Bürgermeister Herbert Napp erschöpft, wie es sich gehört, am Tisch nieder. Er trägt, sehr lustig, zum Cord-Sakko die praktische Altweiber-Krawatte, die stückweise abgeschnitten werden kann. Das ist zwar bei jedem Schlips an diesem Morgen möglich, hier aber werden Schnittvorlagen per gepunkteter Linie angezeigt. Niemand greift zu.

Von der Wand hinter dem Schreibtisch blickt Franz Gielen durch den Raum. Ober (!)-Bürgermeister von 1902 bis 1921, noch länger im Amt als der jetzige Amtsinhaber, der gleich entmachtet wird.

Ein Mitarbeiter des Presseamtes, an diesem Tag Senator und damit offensichtlich seit dem Nüsser Ovend nicht umgezogen, kündigt an: Es geht los. Gardemäßig ziehen die Narren und Närrinnen ein, der Bürgermeister wird geweckt („Immer schlafen Sie!“ „Ich bin doch im Rathaus“), und schon steht er schon in Ketten da. „Der kann doch alles tragen“, ruft ein Uniformträger, aber es bleibt offen, was er meint.

Im Foyer gibt’s Sekt und noch ein schnelles Bier oder auch ein Aspirin. Narrenmarsch, die Sonne bricht durch, in langer Reihe geht es auf den Markt. Die Narren warten, sichtlich guter Laune.

Letzter Akt (für den Stadtchef): Auf der Bühne drängen sich die Musiker, Narren-Offizielle, Prinzenpaar. De Bajaasch spielt Hey Kölle Du Bes E Jeföhl. Der Bürgermeister macht’s kurz, ganz im Sinn des feierwilligen Narrenvolks. „Macht abgeben? Macht nix“, sagt er und lässt sich von der Novesia willig den Stadtschlüssel abnehmen. Folgen die üblichen Sprüche von den Frauen, die jetzt die Macht haben, obwohl sie doch eigentlich immer das Sagen haben. . . Schließlich mahnt der Bürgermeister die Novesia: „Regiere die Stadt gut. Sie ist es gewohnt“, und verliert sich schnell im Getümmel.

Das Prinzenpaar ist seit 6 Uhr auf den Beinen. Das erste Frühstück gab’s im Dorint, der närrischen Hofburg. Das zweite stand im Drusushof an, und im Stammlokal der Gesellschaft NCC Fidelitas, Markt 27, wurde schließlich das dritte Frühstück serviert. Man muss ja Grundlagen schaffen, „allerdings in Form von Sahnebällchen“ (Likörchen mit Haube, Anm.d.Red für Nicht-Nüsser)“, sagt Prinz Toni II. und grinst. Ob er seiner Novesia einen Wunsch erfüllt habe? „Ja, die darf reden!“, witzelt er.

Mit dem Auftritt der Knollis lugen ein paar Sonnenstrahlen hinter den Wolken hervor. „Let the sunshine in“ dachten sich bei den frostigen Temperaturen wohl auch die Hippie-Bräute, die sich in knallbunte Flower-Power-Kostüme mit Schlaghosen geworfen haben. „Wir gehen jedes Jahr gemeinsam hierhin“, sagt Blumenkind Marion Schlösser. Sie ist bei der Freundinnen-Truppe die Kostümbeauftragte. „Die Hippie-Kostüme sind auf meinem Mist gewachsen. Vergangenes Jahr waren wir alle Zigeunerinnen“, sagt sie.

Auch Azem Murati und Alberto Mondello sind jedes Jahr wieder für eine Überraschung gut. Ob als Krankenschwestern „Rabiata“ oder fesche Dirndlmädels — sie verdrehen den Männern die Köpfe.

Diesmal stehen sie als die reizenden Ballerinen „Jolanda und Marzena“ in rosa Tütüs auf dem Markt und geizen nicht mit ihren weiblichen Attributen: „Wir verschenken auch schon mal eine Brust“, verspricht Alberto. „Ersatz haben wir in den Taschen.“

Marcus Heinemann hat sich wieder als Elvis mit Riesentolle verkleidet. „Das Kostüm ist jedes Jahr der Burner“, sagt der 30-Jährige und lächelt die fesche Maus am Bierstand an.

Ob man nun Minnie Maus oder Marienkäfer ist, weiß der gepunktete Trupp auf dem Markt nicht so genau. Aber eins ist sicher: „Punkte müssen sein, jedes Jahr“, sagt Nadine Braun. Sie ist diejenige, die an den tollen Tagen die Kostümwahl der Freundinnen bestimmt und hat nach eigenen Angaben „wohl mal einen Fliegenpilz verschluckt.“ „Bei ihr zuhause ist alles rot-weiß gepunktet, aber wirklich alles“, lachen die Freundinnen — und machen den Spaß gerne mit.

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