60 Tote auf dem Turnierplatz

In einer Woche tummeln sich „Ritter“ in Neuss. 1241 war das blutiger Ernst.

Neuss. Zu einem Spektakel sind die Neusser am kommenden Wochenende, 2. und 3. April, auf die Rennbahn eingeladen: „Ritter“ aus Deutschland, Frankreich, Belgien und den Niederlanden werden gegeneinander antreten — ganz so, wie es bei einem mittelalterlichen Turnier hätte gewesen sein können.

770 Jahre zuvor trafen Ritter tatsächlich in Neuss zu einem großen Turnier zusammen, das allerdings einen üblen Ausgang nahm. Wenig ist in den Quellen wie der Kölner Königschronik oder den klevischen Annalen zu finden. Doch herrscht Übereinstimmung darin, dass es an jenem Tag, eine Woche nach dem Pfingstfest des Jahres 1241, zahlreiche Opfer unter den Rittern gab: Von 60 Toten ist die Rede, an anderer Stelle auch von bis zu 100.

Es war die hohe Zeit des Mittelalters. Die Staufer herrschten, Neuss erlebte eine seiner Blütenzeiten, der Bau von St. Quirin stand wohl vor seiner Vollendung. Neuss — ein Königsgut — hatte 40 Jahre zuvor im Mittelpunkt der Auseinandersetzung zwischen Welfen und Staufern gestanden.

Mit dem „Neusser Eid“ verzichtete Welfen-Kaiser Otto IV. auf eine eigenständige Italienpolitik und gelobte dem Papst Treue und Gehorsam. Kurz darauf schwenkte die Stadt um und stellte sich hinter Kaiser Friedrich II. Es war eine Zeit in der Blüte des Mittelalters, in der die Fürsten allmählich versuchten, ihre Eigenständigkeit gegenüber dem deutschen König zu stärken. Im Zuge dieser Auseinandersetzungen fielen Truppen des Herzogs von Brabant 1239 im Erzbistum Köln ein.

In diesem Zusammenhang wird wohl auch das berüchtigte Turnier in Neuss gestanden haben. Da waren viele Kämpfe in der Region ausgefochten, die Brabanter auf dem Rückzug. „Sicherlich herrschte eine aufgeheizte Stimmung, es hatte Plünderungen gegeben“, sagt Thomas Ludewig, Volkskundler und stellvertretender Direktor am Clemens-Sels-Museum. Das Neusser Turnier jedenfalls taucht in dem offiziellen Turnierbuch nicht auf; vielleicht, weil es unehrenhaft zugegangen war, weil die Regeln des gefährlichen Kampfspiels gebrochen wurden.

Mit wenig oder gar keinem Erfolg hatte die Kirche versucht, Turniere zu verhindern. Das lebensgefährliche „Spiel“ unter christlichen Rittern war ihr suspekt, in der Zeit der Kreuzzüge sollten die Ritter ihr Leben im gerechten Kampf gegen die Ungläubigen einsetzen. Zudem waren Turniere begleitet von Freizügigkeiten und allgemein frivolem Treiben.

Was in Neuss an jenem Tag im Mai 1241 geschah, ist nicht überliefert. 60 bis 100 Tote auf dem Turnierplatz — das führt die Kölner Königschronik auf den „Kampfesmut“ zurück. Ein Aphorismus, glaubt Ludewig: So kurz nach den Schlachten sei wohl der Turnierkampf außer Kontrolle geraten. Dafür spreche auch die Formulierung in den Klever Annalen: Von „blutigem Streit“ ist da die Rede. Die Vermutung, an diesem heißen Tag im Staub seien die meisten Ritter unter den — noch relativ ungewohnten — Helmen erstickt, lässt er nur für einige wenige Teilnehmer gelten. Unklar bleibt weiterhin, wo das Turnier stattfand — und ob es danach je wieder eines in Neuss gegeben hat.

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