Urlaub im Regenbogenland

Der 14-jährige Abschir Abdi schnappt mit Mutter und den drei Schwestern Nordseeluft in einem Kinderhospiz-Heim.

Meerbusch. Karsamstag haben sie den Kleinbus vollgepackt und sind wohlgemut in die Osterfrische gefahren: Muna Abdi, ihre drei Töchter Abschira, Farhiya und Idil sowie der schwerstbehindete Sohn Abschir (14). Die Familie der alleinerziehende Somalierin aus Lank, deren Sohn durch eine Kette von „Kunstfehlern“ im Uerdinger Josefshospital bei der Geburt am 20. Juli 1997 viel zu lange ohne Sauerstoffzufuhr war, schnappt eine Woche lang Nordseeluft in der Nähe von Hamburg — und zwar im Kinderhospiz „Regenbogenland“. Dieses Hospiz ist nicht als letzte Station zu verstehen.

Die Situation in der Familie hat sich seit Mitte Dezember, als die WZ zum ersten Mal über den Fall berichtete, entspannt. Die Aachener-Münchener Versicherung, die für den damals verantwortlichen Arzt und den Krankenhausträger einspringt, hat inzwischen alle aufgelaufenen Kosten aus den vergangenen 14 Jahren beglichen. „Wir haben sogar einen Vorschuss für fünf Monate erwirkt“, sagt Anwältin Sabrina Diehl von der Kanzlei Hermann in Marl. Das war nicht immer so.

So wird der Sachbearbeiter des Versicherungskonzerns genauso irritiert geschaut haben wie die Freunde der Familie Abdi, als er den Kostenvoranschlag eines Meerbuscher Pflegedienstes für die Rund-um-die-Uhr-Betreuung des 14-Jährigen in den Händen hielt: 23 808 Euro bei „24 Stunden Assistenz“ für den Monat Januar. Wegen des Rückenleidens der Mutter, die den immer schwerer werdenden Jungen nicht mehr ohne weitere Hilfe heben kann, ist dieser Pflegedienst in der Lanker Siedlung bereits aufgelaufen. Doch Muna Abdi hat keine guten Erfahrungen gesammelt: „Manchmal kamen die Mitarbeiter gar nicht.“ Demnächst will sie den auf schwerstbehinderte Kinder spezialisierten Dienst „Kid’s Home“ aus Mönchengladbach bemühen. Die Somalierin weiß aber: „Viel billiger ist der nicht“.

Bei diesen Summen für den Pflegeaufwand des Jungen war es eine weise Entscheidung von Muna Abdi, sich nicht auf den Deal ihres früheren Anwaltes mit der Versicherung einzulassen. Bei der von einem Mediziner prognostizierten Lebenserwartung des körperlich und geistig behinderten Kindes wären die ausgehandelten 1,7 Millionen Euro viel zu früh verbraucht. Vom Vater des Kindes, einem Spediteur mit mehreren Wohnsitzen (unter anderem in Baden-Württemberg und Sambia) ist außer kurzen Besuchen nichts zu erwarten.

Gereift sind die Pläne für ein behindertengerechtes Eigenheim in Strümp. „Das Familiengericht hat akzeptiert, dass mein Sohn als Miteigentümer ins Grundbuch eingetragen wird. Das ist die Voraussetzung für die Leistung der Versicherung“. Ein Notar für die Abwicklung des Kaufs ist eingeschaltet, ein selbst behinderter Architekt wird das Häuschen in der Siedlung an der Heinrich-Heine-Straße in Strümp entwerfen.

Medizinisch ist die Situation um einiges komplizierter: Gegen die Schmerzen im Rücken hat Abschir eine Botox-Therapie bekommen. Doch nach drei Monaten lässt die Wirkung des Nervengiftes nach, und die Ärzte müssen sich etwas Neues einfallen lassen. Eine Operation wird als zu gefährlich eingestuft. Der Junge, der vormittags in der Krefelder Ulrich-Lange-Stiftung betreut wird, erhält jetzt zweimal in der Woche eine Wassertherapie in der Osterather Reha-Klinik.

Abschirs Schwestern haben sich auf den Aufenthalt im „Regenbogenland“ lange gefreut. Denn dort leben die Angehörigen in separaten Apartments. Die Patienten erleben ein spezielles Programm. Am Nordseestrand tanken sie gemeinsam frische Luft.

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