Strümp: Ein Tag verändert das ganze Leben

Die von dem Strümper Peter Schulze konzipierte Initiative „Jugend braucht Zukunft“ sorgt bundesweit für Furore.

Strümp. Gut 25 Jahre war Peter Schulze für die Jagenberg-Gruppe in führender Position tätig. Dabei hat er immer wieder erlebt, dass Lehrlinge schon nach kurzer Zeit ihre Ausbildung wieder abbrechen. "Ist das ein allgemeines Phänomen der Industrie oder stimmt etwas mit unserer Jugend nicht?", fragte sich der Strümper daraufhin Anfang der 90er Jahre.

Das war die Initialzündung für eine Art Workshop, der rund 15 Jahre später an der Meerbuscher Volkshochschule erstmals angeboten wurde und binnen kürzerster Zeit bundesweit für Furore sorgte. "Jugend braucht Zukunft", ein eintägiges Seminar, in dem Jugendliche die womöglich entscheidende Hilfestellung bei ihrer Berufswahl erhalten, wurde inzwischen deutschlandweit von 17Volkshochschulen übernommen.

Mit Hilfe der Universität Ilmenau habe Schulze damals schnell den entscheidenden Fehler herausgefunden, der bei Einstellungsgesprächen oder vergleichbaren Berufswahl-Seminaren gemacht werde: "Gefragt wird nach der Eignung. Viel wichtiger ist aber die persönliche Neigung."

Basierend auf einer Dissertation der Uni Ilmenau entwickelte Schulze Module für Coachings, die er nach seiner Pensionierung ehrenamtlich anbot, und die irgendwann in einer dicken Mappe mündeten. "Mein Patenkind, ein Marketing-Fachmann, hat mich dann 2005 auf die Idee gebracht, den Verein zu gründen." Auf einem Bierdeckel in der Kneipe seien erste Grundzüge festgelegt worden, "einen Tag später war die Internetseite gebucht".

2007 war das Projekt dann so ausgereift, dass Schulze es der Meerbuscher Volkshochschule anbot - mit durchschlagendem Erfolg: "Das erste Seminar war 17-fach überbucht. Es kamen Lehrstellenabbrecher, Gymnasiasten, Hauptschüler und orientierungslose Studenten. Damit hatte ich nie und nimmer gerechnet."

"Jugend braucht Zukunft" wurde schnell ausgeweitet, auch im aktuellen VHS-Programm sind wieder sechs Seminare für maximal zwölf Personen im Angebot. Schulze konnte sogar Rita Süßmuth gewinnen, die Schirmherrschaft des Vereins zu übernehmen.

Doch was ist denn nun das Geheimnis dieses Seminars, bei dem junge Menschen einen Tag lang zwölf Stunden am Stück damit verbringen, ihre eigenen Wünsche herauszufinden? "Zunächst einmal: Es ist nicht so, dass die Teilnehmer alle hochmotiviert ankommen. Einige haben Restalkohol oder ihre Baseballmütze tief in die Stirn gezogen, um ihr Desinteresse zu demonstrieren. Nach spätestens einer Stunde aber sind sie alle intensiv in die Arbeit vertieft", erzählt Schulze.

Die Coaches - mittlerweile gibt es über 30, alle werden in Meerbusch ausgebildet - hangeln sich an einem roten Faden entlang, der Berufswunsch spielt dabei erst einmal gar keine Rolle. "Es geht um eine persönliche Selbsteinschätzung, ja um eine emotionale Selbstfindung", berichtet der Strümper. "Es geht um Ziele im Leben, darum, die eigenen Fähigkeiten richtig einzuschätzen, um Träume, Pläne, um Freunde und Familie. Nur allmählich nähert man sich so dem eigentlichen Ziel an."

Aus dem persönlichen Umfeld heraus gelange man zu Charaktereigenschaften, die dann auch im Berufsleben von Bedeutung sind: Pflichtgefühl, Zuverlässigkeit, Bereitschaft zum Teamwork oder der Umgang mit Konfliktsituationen. Natürlich sei so ein Tag lang, "aber es darf kein Bruch entstehen, alles baut aufeinander auf", erklärt der Pensionär. Von 8 bis 17 Uhr dreht sich alles darum, "seinen individuellen Standort herauszufinden".

Erst im "Schlussspurt" würden mit Hilfe des Online-Berufsberatungs-Systems der Agentur für Arbeit Job-Empfehlungen ausgesprochen, die dem persönlichen Neigungsprofil entsprechen.

Obwohl es diese Angebote inzwischen bundesweit gibt, kämen zu den Seminaren in Meerbusch Jugendliche aus ganz Deutschland angereist. Der Verein hat acht Mitglieder, alle arbeiten ehrenamtlich. Bis Ende des vergangenen Jahres haben 2200 angehende Berufstätige an den Seminaren teilgenommen. Die Erfolgsquote liege bei 90 Prozent, sagt Schulze. "Wir fragen die Teilnehmer im Anschluss, ob ihre Erwartungen erfüllt worden seien, ein halbes Jahr später überprüfe ich die Ergebnisse dann noch einmal telefonisch."

Es gehe nicht zuletzt darum, Einflüsse von außen abzustreifen, so Schulze. Vorgaben und Vorstellungen der Eltern blieben daher bewusst unberücksichtigt. Manchmal müssten im Inneren verborgene Wünsche nur wieder hervorgeholt werden. Schulze nennt ein Beispiel: "Ich hatte mal eine junge Frau im Seminar, die stand kurz vor Schluss auf und schrie: Verdammt noch mal, ich wollte immer Pfarrerin werden, aber alle haben versucht, es mir auszureden. Jetzt ziehe ich das durch." Manchmal könne eben ein Tag das ganze Leben verändern.

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