Menschen in Meerbusch: Statt auf Berge geht’s in die Wüste

Flexibilität ist im Job gefragt: Deshalb tauscht Familie Thiel Doha gegen Strümp.

Strümp. Es gibt Zeiten, da gerät das Leben gehörig in Bewegung. So ergeht es Katja und Marc Thiel 2007. Töchterchen Linda ist wenige Monate alt, die Eltern sind mit der Haussuche beschäftigt, da greift eine Entscheidung in Katar, in der Hauptstadt Doha eine 8,5 Kilometer lange Einkaufsmeile zu bauen, in ihren Familienalltag ein. Die Firma von Bauingenieur Thiel wird beauftragt, das Projekt virtuell umzusetzen.

Während Thiel fortan regelmäßig für ein bis drei Wochen in der Wüstenstadt arbeitet, kümmert sich Katja Thiel um Hausbau und Tochter. 13 Mal jettet ihr Mann ab Oktober 2007 nach Doha, die Wochenenden in Deutschland vertreibt er sich mit dem Innenausbau des Eigenheims. "Deshalb hat die Gartengestaltung auch so lange gedauert", sagt Thiel schmunzelnd.

Jetzt könnten die Thiels ihren ersten Sommer in Strümp richtig genießen: Terrasse, ein Schwimmbassin für Linda, Sonnenliege auf dem Rasen und eine kleine grüne Hecke rundherum. Doch ihr Vergnügen ist zeitlich begrenzt: Ende September kehrt die Familie Strümp den Rücken.

Nicht etwa, weil es in der Nähe den versprochenen Tante-Emma-Laden und in Meerbusch keinen Kindergartenplatz für Linda gibt. Nein. Die Einkaufsmeile in Doha wird realisiert ("500 Meter Ärzte, dann Kilometer lang Einrichtungshäuser") und Marc Thiel hat einen Vertrag unterschrieben.

Bedingung für alle: Die Familie geht mit. "Wann, wenn nicht jetzt?", kommentiert Katja Thiel den Schritt. Linda ist nicht schulpflichtig, sie nimmt das Jahr Elternzeit. "Sonst hätte ich das nicht gemacht. Ich arbeite gern."

Zuhause in Strümp fühlt sie sich in bester Gesellschaft von Freundinnen ("Ich habe ein Babyphon mit extra großer Reichweite"), will aber nicht auf Dauer "Alleinerziehende" sein. "Ich bin die abenteuerlustigere, aber wir erleben beide gerne etwas Neues", sagt Katja Thiel.

Knapp einen Monat vor dem Umzug freut sie sich jetzt auf die Menschen, die Umgebung, das Einkaufszentrum, in dessen Mitte eine Eislaufbahn liegt, auf der die Besucher bei brütender Hitze draußen kühl ihre Runde drehen. "Wo kann ich einkaufen, wie und wo kann ich mich dort bewegen?"

Fragen wie diese bewegen Katja Thiel. Und: Was soll sie mitnehmen? Ein Haus steht der Familie möbliert zur Verfügung, der Rest muss in drei Kisten zu je einem Kubikmeter gequetscht werden. "Wie soll da allein das Spielzeug rein?"

Allzu viel kann Marc Thiel ihr nicht über Land und Leute erzählen ("Ich habe da immer nur gearbeitet"), eines ist allerdings klar: "Es ist nicht New York oder Sydney, sondern Wüste." Sein erster Eindruck, als er vor zwei Jahren erstmals vom Flughafen in die Stadt fuhr: "Es war spätabends und Millionen Inder stürzten auf die Straße. Der Ramadan war zu Ende." Inder in Doha? "Ja", sagt Thiel. "Gastarbeiter."

Freundlich seien die Menschen, sehr höflich und respektvoll, mörderisch heiß die Temperaturen im Sommer ("Mitte Juni morgens um 9 Uhr 49 Grad im Schatten"). "Man muss nur umdenken", sagt Thiel gelassen, wie seine Frau ein Freund von Bergen und Schnee. "In Deutschland setze ich mich ja auch nicht im Winter in den Biergarten."

Linda ist für den Betriebskindergarten angemeldet, und so bleibt Katja Thiel Zeit. Ihr Englisch will sie verbessern, vielleicht ins Arabische schnuppern, Nachbarländer erkunden. Mobil ist sie - mit Führerschein und dank der in Katar geforderten Einwilligung ihres Mannes.

Dass der auch künftig viel arbeiten wird, ist beiden klar. Einsam wird es trotzdem nicht: Zu Karneval ("In Köln!") und im Sommer sind Heimatbesuche geplant, außerdem haben sich Freunde und Familie in Doha angemeldet. "Statt an Einsamkeit werden wir wohl eher an Freizeitstress leiden", sagen die Neu-Strümper lachend.

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