Meerbusch historisch Bimmelbahn „Linie M“ ließ das Geschirr rappeln

Meerbusch. · Vor über 100 Jahren fuhr eine Bahn von Lank nach Uerdingen. Als die Dampflok durch Elektroantrieb ersetzt wurde, stieg das Tempo auf 30 Stundenkilometer. 1958 wurde der Betrieb eingestellt, weil die Autos zu sehr behindert wurden.

 Ein Triebwagen der Linie M an der Haltestelle vor dem heutigen Hotels Kals am Ortsausgang Richtung Stratum.

Ein Triebwagen der Linie M an der Haltestelle vor dem heutigen Hotels Kals am Ortsausgang Richtung Stratum.

Foto: Stadtarchiv Meerbusch/Repro Mike Kunze / Stadtarchiv

Was heute wieder im Gespräch ist, eine Bahnlinie durch den Meerbuscher Norden, ist alles andere als eine neue Idee. Alte Strümper, Latumer und Büdericher erinnern sich noch lebhaft an die Linie M (bis 1931 Linie C), die bis 1958 von Haus Meer über die Xantener und Uerdinger Straße nach Stratum und weiter bis nach Moers führte. Für Jüngere ist sie oft nur noch ein Gerücht, denn vor 62 Jahren musste die Straßenbahn dem Verkehr weichen und wurde durch die Buslinie 70 ersetzt.

Die ersten Überlegungen reichen rund 130 Jahre zurück. 1892 wurde eine Streckenführung vorgestellt: Osterath – Niederkassel – Büderich – Strümp – Ilverich – Lank – Latum. Fast als hätte es Meerbusch damals schon gegeben, erinnert der Weg ein wenig an die Route der Buslinie 839. Damals jedoch sperrte sich der visionäre Lanker Amtsbürgermeister Hermann Kemper gegen den Weg durch die Felder und plädierte für eine zusätzliche Anbindung des Hauptortes an Uerdingen. Dabei sollten zugleich die staatliche „Dampfbahn“ und der Hafen erreichbar werden. Die gerade Strecke von Haus Meer nach Uerdingen hatte einen weiteren gravierenden Vorteil – sie folgte dem Hochwasserdamm, auf dem die Straße zudem bereits gepflastert war, was für die Schienen zusätzlichen Halt und zugleich Hochwassersicherheit versprach.

Realität machte aus der Träumerei privater Kleinunternehmen allerdings erst die 1897 gegründete Rheinische Bahngesellschaft. Nun sollte neben der Personenbeförderung auch ein Warentransport auf der Strecke möglich sein. Das verweigerte aber der preußische Verkehrsminister, obwohl Ziegeleien, Landwirtschaft, der Weinhandel van Dawen und etliche andere Betriebe sich sehr interessiert zeigten. Als dann am 28. September 1900 der Betrieb auf 75 Jahre genehmigt wurde, durften zumindest Koffer und Stückgut transportiert werden.

Zunächst war übrigens eine Dampflok eingesetzt, die innerhalb von zehn Jahren durch eine mit Elektroantrieb ersetzt werden musste. Das Bauprojekt wurde mit der damals gewaltigen Summe von 350.000 Goldmark veranschlagt und brachte die ersten italienischen Gastarbeiter ins Amt Lank, als am 10. Mai 1901 die Arbeiten aufgenommen wurden. Nur wenige Monate später ging die Strecke am 5. August in Betrieb. Die Züge erreichten dabei die damals atemberaubende Geschwindigkeit von 25 Stundenkilometern, die in den Dörfern noch um die Hälfte gedrosselt werden musste. Haltestellen waren damals zunächst spärlich gesät – in Latum etwa nur am Ortseingang und Ortsausgang. Hinzu kamen Verladeplätze für Güter – in Strümp an der Gaststätte Hahlen, in Latum am Saal Faßbender.

 Die Schienen führten nur weniger Zentimeter an Haus Santen (r.) vorbei. Stand der Fensterladen offen, musste die Bahn stoppen.

Die Schienen führten nur weniger Zentimeter an Haus Santen (r.) vorbei. Stand der Fensterladen offen, musste die Bahn stoppen.

Foto: Stadtarchiv Meerbusch/Repro Mike Kunze / Stadtarchiv

Bei Kreuzungen ging
der Schaffner vorneweg

Auf Elektrobetrieb stellte die Rheinbahn dann schon am 27. April 1902 um – zusammen mit der angrenzenden Bahnlinie Düsseldorf-Krefeld (K-Bahn). Zugleich wurde das Tempolimit auf 30 Stundenkilometer erhöht, um die Frequenz zu steigern. Bald schon hielten elf Mal am Tag Züge in beide Richtungen. Dabei war die Bahn sogar bereit, Rücksicht auf die Fronleichnamsprozession zu nehmen. Sollten sich die Wege kreuzen, sollten Züge „ganz langsam und ohne Lärm oder Glockensignal“ vorbeifahren. Das war in einer Gegend mit über 98 Prozent katholischer Bevölkerung eine ernste Angelegenheit. Auch sollte dann der Schaffner dem Zug vorangehen, wie es damals auch an Kreuzungen üblich war. Konflikte gab es trotzdem, besonders weil die Bahnen auf ihren möglichst gerade verlegten Gleisen an mehreren Häusern nur ganz knapp vorüber rasselten. Bei Bauer Johann Münker rappelte dann das Geschirr in der Stube des Lipperhofes.

Wilhelm Toups überliefert die Anekdote, dass Kinder und Jugendliche sich einen Spaß daraus machten, am Haus Santen die Fensterläden aufzuklappen. Dann musste die Bahn jedes Mal halten und der Schaffner zuerst die Läden wieder an die Hauswand klappen, um weiterfahren zu können. Die letzte Tour stoppte auch schon mal an den einschlägigen Kneipen, wo neben den Zechern oft auch eine - heute undenkbare - Erfrischung auf den Schaffner wartete. Um 1911 wurde die Bahnverbindung von Düsseldorf bis nach Moers erweitert, und auch der Frachtverkehr wurde wiederaufgenommen. In den 1920er-Jahren wurde der Halbstundentakt eingeführt. Da die Strecke aber nur eingleisig war, mussten mehrere Ausweichpunkte, so etwa in Strümp, geschaffen werden. Hier konnten sich dann zwei Bahnen in entgegengesetzter Richtung begegnen – eine stand dann immer in der sprichwörtlichen „Warteschleife“. Ein besonderes Erlebnis verschaffte den Kondukteuren die Inflation von 1923. So kostete eine Fahrt von Lank nach Uerdingen 600 Milliarden Reichsmark. 1958 war dann Schluss mit der Herrlichkeit. Die eingleisige Bahnlinie, die zudem mehrfach die Straßenseite wechselte, wurde zunehmend zum Verkehrshindernis und durch Busse ersetzt. Für die letzte Fahrt war die Bahn mit Tannengrün verziert.

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