Ein Erfahrungsbericht „Wir sind ein privilegiertes Leben gewohnt“

Bari. · Gastbeitrag Die Studentin Greta Raukes aus Osterath musste ihr Auslandssemester in Italien vorzeitig beenden.

 Wie sich die Stimmung auf den Straßen Italiens schlagartig änderte, erlebte Greta Raukes aus erster Hand.

Wie sich die Stimmung auf den Straßen Italiens schlagartig änderte, erlebte Greta Raukes aus erster Hand.

Foto: Raukes

Greta Raukes aus Osterath wäre jetzt eigentlich in Süditalien. Die 22-Jährige studiert Italienisch, Spanisch und Französisch an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität in Bonn. Seit September verbringt sie als Erasmusstudentin ein Semester an der Aldo-Moro-Universität Bari. Erst im August hätte sie die Heimreise angetreten. Aufgrund der Corona-Pandemie ist Greta allerdings jetzt schon nach Osterath zu ihren Eltern zurückgekehrt. In diesem Text schildert sie ihre persönlichen Eindrücke, Erlebnisse und Gedanken:

„Wie ein sehr merkwürdiger Film. So fühlte es sich tatsächlich an, als ich vor zwei Wochen vorzeitig aus meinem Auslandsjahr in Süditalien zurückkehrte. Bis vor ein paar Wochen habe ich noch in Bari gelebt und dort im Rahmen des Erasmusprogramms seit September studiert. Die Sonne, viele schnell geknüpfte Freundschaften sowie die Herzlichkeit und Entspanntheit der Süditaliener sorgten schnell dafür, dass ich mich wohl fühlte. Über etliche Erasmusveranstaltungen begegnete ich tollen Menschen aus der gesamten Welt und lernte auf vielen Reisen Italien und die Region Apulien, in der Bari liegt, besser kennen und lieben.

Als Ende Februar die ersten Coronavirus-Fälle in Norditalien bekannt wurden und die Zahl der Infizierten schnell anstieg, beobachteten die meisten in Süditalien die Lage mit etwas Sorge, aber noch mit Gelassenheit, da es in Apulien gar keine bestätigten Fälle gab. Als Anfang März die Schulen und Universitäten des Landes geschlossen wurden und damit auch meine Uni den Vorlesungsbetrieb einstellte, folgte eine merkwürdige Zeit ohne Vorlesungen und Freizeitveranstaltungen, die ich mit meinen Mitbewohnerinnen erst mal mit kochen, Filme schauen, Workouts im Wohnzimmer, lesen und entspannen verbrachte – ohne jedoch zu wissen, wie lange dieser Zustand andauern sollte.

Als dann an einem Samstagabend zuerst in einem großen Teil Norditaliens eine Ausganssperre verhängt wurde, änderte sich auch in Bari merklich die Stimmung: die Straßen, Cafés und Bars wurden leerer, und auch ich zweifelte, dass sich die Situation schnell zum Besseren wenden würde.

Als nur zwei Tage später der italienische Ministerpräsident Giuseppe Conte im Fernsehen verkündete, im ganzen Land eine Ausgangssperre zu verhängen, war ich aber doch überrascht – mit einer so schnellen Änderung der Situation hatte ich nicht gerechnet. In Bari gab es zu diesem Zeitpunkt gerade mal fünf Infizierte.

Aus Sorge, wochen- oder sogar monatelang alleine in einer Wohnung zu sein, entschied ich, einen Flug nach Deutschland zu buchen – für den nächsten Tag. Meine Mitbewohnerinnen wurden in der Nacht noch von ihren Eltern abgeholt, und ich begann meinen Koffer zu packen.

Alles erschien mir sehr absurd, da ich eigentlich geplant hatte, erst im Sommer nach Deutschland zurückzukehren. Um am nächsten Tag zum Flughafen zu kommen, schrieb ich in der Nacht noch ein Formular ab, ohne das man das Haus nicht mehr verlassen durfte, um zu erklären, dass ich mich auf dem Weg zum Flughafen befand. Ich hatte Glück, mein Flug wurde nicht wie viele andere gecancelt, sodass ich mich keine 24 Stunden nach Verkündung der Ausganssperre bei meinen Eltern in Meerbusch befand. Ich entschied, 14 Tage in freiwilliger Quarantäne zu bleiben, weil mittlerweile das ganze Land Italien als Risikogebiet galt.

Das stellte sich als umso wichtiger heraus, als ich ein paar Tage später erfuhr, dass eine meiner Freundinnen aus Bari positiv auf das Coronavirus getestet wurde. Nach meiner Ankunft in Deutschland war ich erst einmal schockiert von der Einstellung vieler hier. Die meisten hatten die Ereignisse in Italien verfolgt, sahen die Lage in Deutschland aber als nicht besonders ernst an, das Leben schien hier fast normal weiterzulaufen. Vielen meiner italienischen Freunde und auch mir fiel es schwer, das mit Blick auf die dramatische Lage in Norditalien zu verstehen. Mein Eindruck ist aber, dass sich das in den zwei Wochen, die ich nun schon hier bin, sehr geändert hat. Natürlich sind meine Erlebnisse kein Einzelfall. Dank vieler Freunde, die sich noch bis vor zwei Wochen in der Welt herumtrieben und nun fast alle zurückgekehrt sind, hat sich mir das Ausmaß der Situation gezeigt. Ich habe realisiert, was für ein privilegiertes Leben wir gewohnt sind. Nicht reisen zu können, war für meine Generation bis vor ein paar Wochen unvorstellbar.

Zum Glück gibt es das Internet, dass es uns ermöglicht, zu Freunden auch trotz der Entfernungen und Ausgangssperren Kontakt zu halten. So höre ich täglich von meinen Freunden in Italien, und davon, wie sie mit der besonderen Zeit umgehen. Natürlich machen sich alle Sorgen und wünschen sich nichts sehnlicher, als bald wieder das Haus verlassen zu dürfen.

Die meisten sehen die Zeit auch als Chance, lernen neue Dinge und senden täglich Zeichen der Hoffnung und Solidarität in Form von Musik und Applaus von ihren Balkonen. Ansonsten gibt es inzwischen auch Online-Vorlesungen, die den Tag ein wenig strukturieren.

So langsam merke ich, dass ich nicht Teil eines sehr merkwürdigen Films bin und realisiere, dass eine Rückkehr nach Bari in nächster Zeit wohl nicht möglich sein wird. Aber auch ich kann die Online-Vorlesungen aus Deutschland verfolgen und so weiter an der Uni Bari studieren. Auch wenn die Prüfungen wahrscheinlich online stattfinden, hoffe ich doch, im Sommer wieder in Bari zu sein...“

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