Gedenken an Pogromnacht: Flagge zeigen für Wahrheit und Toleranz

Mit einer Feierstunde am Mahnmal in Lank wurde an die Pogromnacht vor 75 Jahren erinnert.

Lank. Es war der Kaufmann um die Ecke, der Handwerker von der Hauptstraße und die Mitschüler der Volksschule. Sie alle wurden wegen ihrer jüdischen Herkunft verleumdet, drangsaliert — und letztlich sogar deportiert.

Bürgermeister Dieter Spindler machte am Samstag bei der Feierstunde zum Gedenken an die Reichspogromnacht vor 75 Jahren am jüdischen Mahnmal in Lank klar, dass diese Ungeheuer-lichkeiten nicht weit weg, sondern mitten unter uns im dörflichen Meerbusch passierten.

„Wie konnte ein Klima entstehen, in dem Angehörige einer anderen Religion und politisch Andersdenkende brutal verfolgt wurden?“, fragte er. Es gehe heute nicht mehr vorrangig um die Frage nach Schuld und Verstrickung, es ginge vielmehr um ein politisches Bewusstsein der Toleranz gegenüber anderen. „Vergessen bewirkt Gleichgültigkeit und die Folgen können fatal sein.“

Rund 120 Meerbuscher waren zum Mahnmal für die deportierten und ermordeten jüdischen Mitbürger gekommen, das nach intensiven Diskussionen im ökumenischen Arbeitskreis Lank vor zehn Jahren von dem Künstler Christoph Willemsen-Wiegmann geschaffen wurde. Nachdem die Gemeinden in den vergangenen Jahren selbst eine Gedenkstunde abgehalten hatten, hat nun die Stadt diese wichtige Aufgabe übernommen.

Als Zeichen des Gedenkens zündeten Schüler des evangelischen Oberstufenreligionskurses des Mataré-Gymnasiums von Pfarrer Wilfried Pahlke Lichterschalen an, die das Dunkel erhellten. Die Fortsetzung der Veranstaltung fand in der Teloy-Mühle statt. Pfarrerin Heike Gabernig zitierte den Holocaust-Überlebenden Elie Wiesel, der festgestellt hat, dass nur die Erinnerung ein Mittel zur Vorbeugung gegen den Hass sei. „Wir wollen Flagge zeigen für Wahrheit, Gerechtigkeit und Toleranz“, unterstrich sie.

Einfühlsam und berührend erzählte danach Zeitzeugin Rosemarie Vogelsang, Jahrgang 1930, von ihren „kindlich-naiven“ Erinnerungen an die damalige Zeit. Sie stand vor einem ovalen Bild, das zwei jüdische Mädchen zeigte. „Die ältere, Gerda Kleestadt, war die Freundin meiner Schwester“, erklärte sie. 1939 sei diese noch rechtzeitig nach London geschickt worden. Wie das Bild in ihren Besitz gekommen sei? Vater Kleestadt habe es ihren Eltern zur Aufbewahrung gegeben, als er mit seiner Frau 1941 nach Riga deportiert und dort ermordet wurde. „Es hing ganz lange über dem Schreibtisch meines Vaters“, berichtete die 83-Jährige.

Sie ist in Duisburg-Großenbaum aufgewachsen, wo ihr Vater bei den Hahn-Werken arbeitete. „Als er bei einer Betriebsversammlung 1933 einen NSDAP-Vertreter als Charakterschwein titulierte, wurde er wegen ,staatsfeindlicher Umtriebe’ entlassen“, erinnerte sich Vogelsang. Sie erzählte auch von den monatlichen blauen Umschlägen, die der jüdische Werksbesitzer anonym der Familie zukommen ließ. „Bis 1938, dann wurde das zu gefährlich.“

Am 9. November 1938 hat Vogelsang Widersprüchliches erlebt. So verteidigten zwei Hitlerjungen ihre Nachbarn, in deren Wohnung SS-Leute ein Jauchefass ausleeren wollten.

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