Zuhause in Meerbusch Afghanisches Ehepaar wagt einen Neuanfang

Meerbusch · Owais und Parisa Waiezi konnten vor den Taliban aus Afghanistan fliehen. Als Ortskraft der Organisation „Help“ erhielten sie ein Visum für Deutschland und leben jetzt in Meerbusch.

 Freuen sich auf ihre Zukunft in Deutschland: Parisa (r.) und Owais Waiezi in der Kleiderkammer.

Freuen sich auf ihre Zukunft in Deutschland: Parisa (r.) und Owais Waiezi in der Kleiderkammer.

Foto: RP/Angelika Kirchholtes

Die beiden sind überglücklich: Sie haben es raus aus Afghanistan geschafft. Owais und Parisa Waiezi hatten eine dreimonatige Odyssee hinter sich, als sie Anfang Dezember in Meerbusch ankamen. Der 32-jährige Owais ist einer der sogenannten Ortskräfte, die in Afghanistan für westliches Militär oder ein Hilfswerk gearbeitet haben und mit der Übernahme der Macht durch die Taliban um ihr Leben fürchteten.

Noch jeder hat die Bilder im August vor Augen, als Menschen, die aus dem Land flüchten wollten, sich vor dem Eingangstor des Flughafens von Kabul drängten, aber keine Chance bekamen, tatsächlich ein Flugzeug zu besteigen. Auch Owais und Parisa waren damals in einem Hotel in Kabul und versuchten, von dort zum Flughafen und in ein rettendes Flugzeug zu gelangen. Doch vergebens.

Projektleiter beim deutschen Hilfswerk „Help“

Mehrere Jahre habe er für das deutsche Hilfswerk „Help“ gearbeitet, war sogar bis zum Projektleiter in der Stadt Herat aufgestiegen, erzählt der junge Afghane, der Business Administration studiert hat. „Help“ wurde 1981 von Abgeordneten aller im damaligen Bundestag vertretenen Parteien sowie Persönlichkeiten aus Wissenschaft und Kirche gegründet, als nach dem Einmarsch der Sowjetunion in das Land am Hindukusch drei Millionen Menschen aus dem kriegsgebeutelten Land nach Pakistan und den Iran flüchteten. Später engagierte man sich auch direkt in Afghanistan. Nur während der Taliban-Herrschaft von 1998 bis 2001 setzte „Help“ keine Projekte in Afghanistan um. Es sei in den letzten Monaten besonders darum gegangen, Binnen-Flüchtlinge in notdürftigen Unterkünften unterzubringen und sie mit Nahrungsmitteln und warmer Kleidung zu versorgen, berichtet Owais. Außerdem sei ein Help-Center mit einem kleinen Hospital eingerichtet worden, in dem man sich um Corona-Kranke gekümmert habe.

Dass das Ende dann so schnell kommen würde, das hätte er nicht gedacht, obgleich es in den letzten Monaten viele kriegerische Auseinandersetzungen zwischen Taliban und dem Militär der Regierung gegeben habe. „Die Bomben fielen ganz nah und wir hatten Angst“, schildert er. Seine junge Frau, die er erst ein Jahr zuvor geheiratet hat, habe er sicherheitshalber nach Kabul zu deren Geschwistern geschickt. Als dann die Taliban nach Herat kamen, habe auch er sich auf den Weg nach Kabul gemacht. „Das war der gefährlichste Trip meines Lebens“, berichtet er. Überall seien Männer mit Kalaschnikows auf den Straßen gewesen und hätten geschossen. Aber auch Kabul führte nicht zum erhofften Weg in die Freiheit.

Unverrichteter Dinge und sehr deprimiert seien er und seine Frau nach Herat zurückgekehrt, immer in Sorge, ob die Taliban eines Tages vor der Tür stehen und ihn verhaften würden. Durch die Nähe zur iranischen Grenze und mit Beziehungen konnten die beiden dann ein Visum für den Iran und eine Taxifahrt bezahlen, um außer Landes zu kommen. In Teheran begaben sie sich zur deutschen Botschaft, um ein Visum für Deutschland zu bekommen. Nach einem ausführlichen Interview und Überprüfungen hielten sie schließlich das heiß begehrte Dokument in den Händen und konnten über Istanbul nach Düsseldorf fliegen.

Als Wunschziel hatten sie Nordrhein-Westfalen angegeben und wurden dann Meerbusch zugewiesen. Hier wohnen sie zunächst im Übergangswohnheim Am Hülsenbuschweg. Ihr erster Eindruck: Deutschland ist sehr grün. Über einen anderen Afghanen bekamen Owais und Parisa Waiezi Kontakt zu Bettina Furchheim, der Leiterin des Strümper Begegnungscafés der Diakonie. Sie hilft den beiden seitdem bei den vielen bürokratischen Formalien, die notwendig sind, um die Integration zu starten. Etwa der Besuch im Sozialamt, um eine Meldebescheinigung zu erhalten. Und im Jobcenter, um Anträge auf Unterstützung zu stellen. Sie unterstützt das Paar aber auch beim Einrichten eines Kontos oder bei der Fahrt zur Meerbuscher Tafel, um erste Lebensmittel zu erhalten.

„Die Menschen hier sind sehr hilfsbereit“, loben die beiden Afghanen. Auch in der Kleiderkammer waren sie schon. „In Deutschland ist es ja so kalt. Das kennen wir in Afghanistan nicht“, so die 19-jährige Parisa, die sich dort gleich eine schöne Jacke aus Webpelz ausgesucht hat. Sie hofft, dass sie in Deutschland in nicht allzu ferner Zukunft Biologie studieren kann, wie sie es in Afghanistan vorhatte. Aber zunächst heißt es Deutsch lernen. „Leider gibt es derzeit keinen Anfängerkurs bei der Meerbuscher Volkshochschule“, bedauert Furchheim. Vermutlich müssten die beiden dafür nach Neuss fahren.

Eigentlich möchte das junge Ehepaar gleich starten, sich hier etwas aufbauen. „Wir freuen uns auf unsere gemeinsame Zukunft in Deutschland“, sagen Parisa und Owais und strahlen. Auch eine richtige Wohnung möchten sie beziehen, wozu den beiden noch die notwendigen Ausweispapiere fehlen. „Aber vielleicht gibt es auch von privat eine Wohnung. Immerhin haben die beiden ja einen afghanischen Pass“, hofft Furchheim. Gerne nimmt sie unter der Telefonnummer 0173 2003878 Hinweise entgegen.

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