Mobbing an Schulen: Opfer sind oft die Schwachen

Experte Rüdiger Stellberg spricht zum Schulstart über das Thema Mobbing.

Kaarst. Viele Kinder sind wohl in der vergangenen Woche wieder mit Bauchschmerzen zur Schule gegangen. Statistisch gesehen ist in jeder Klasse Mobbing irgendwann ein Thema. Rüdiger Stellberg (64) ist Lehrer und Psychotherapeut.

2005 gründete der Kaarster das Institut für Gewaltprävention — ein Netzwerk aus freien Trainern und Therapeuten, die sich alle mit dem Thema Gewalt und Mobbing in Schulen befassen.

WZ: Wenn Sie einmal auf Ihre eigene Schulzeit zurückblicken, gab es da Mobbing?

Stellberg: Wir nannten das ja nicht Mobbing. Zu meiner Schulzeit Anfang der 60er Jahre gab es noch die Prügelstrafe. Das waren ganz andere Zeiten. Wir Schüler waren friedlich, denn wir waren froh, auf dem Gymnasium sein zu dürfen.

WZ: Also ist Mobbing ein Phänomen unserer Zeit?

Stellberg: Man spricht bereits seit etwa 20 Jahren von Mobbing. Heute verschärft es sich jedoch mit neuen Methoden. Das Stichwort ist Cybermobbing. Allerdings wird der Begriff heute zuweilen inflationär benutzt. Sobald es in der Schule nicht rund läuft, sagen manche Eltern, mein Kind wird gemobbt.

WZ: Ab wann sprechen Experten von Mobbing?

Stellberg: Einer Person muss über einen längeren Zeitraum durch eine Gruppe psychisch oder körperlich zugesetzt worden sein.

WZ: Wer sind die typischen Opfer und wer die Täter?

Stellberg: Natürlich gibt es prädestinierte Opfer. Das typische Bild trifft leider oft zu. Kinder, die irgendeinen körperlichen Makel haben, Einzelgänger sind, die sich nicht wehren. Die Täter wiederum sind an Macht interessiert. In der Tätergruppe gibt es meistens ein Alphatier, das dann Mitläufer um sich schart.

WZ: Sind häufiger Mädchen oder Jungen betroffen, beziehungsweise die Täter?

Stellberg: Das ist ausgeglichen.

WZ: Wie beginnt das Mobben?

Stellberg: Die Tätergruppe testet das Opfer an. Steckt das Opfer ein, statt sich zu wehren, haben die Täter leichtes Spiel.

WZ: Was sollten Lehrer tun, wenn sie davon erfahren, dass einer ihrer Schüler gemobbt wird?

Stellberg: Es gibt Interventions- und Präventionsstrategien. Eine erprobte Präventionsstrategie ist der Klassenrat: Die Klasse versammelt sich einmal im Monat und bespricht eine Schulstunde lang unter Anleitung einer geschulten Person Probleme.

WZ: Kann jeder Lehrer eine solche Stunde leiten?

Stellberg: Der Lehrer braucht eine Basisausbildung, wie er eine solche Stunde anleiten kann, damit das Problem auch zur Sprache gebracht wird. Da gibt es Instrumente wie Karteikärtchen, auf denen Schüler anonym ihr Problem aufschreiben und einreichen können. Wenn der Klassenrat regelmäßig tagt, wissen die Kinder, dort kann ich meine Probleme unterbringen.

WZ: Wie passt der Klassenrat in den Lehrplan, wenn Sie sagen, er muss im Unterricht stattfinden?

Stellberg: Schulen, die etwas gegen Mobbing tun und die kooperative Atmosphäre zwischen Schülern und Lehrer fördern wollen, müssen Nischen im vollgepackten Lehrplan finden, um den Klassenrat zu etablieren. Es gibt beispielsweise eine Stunde im Monat, die für SV-Belange (Schülervertretung) eingeplant wird, die könnte genutzt werden. Auch in den Politikunterricht passt ein Klassenrat thematisch hinein. Lehrer müssen jedoch auch offen dafür sein.

WZ: Was können die Opfer selbst tun?

Stellberg: Das Opfer muss sich hilfesuchend an jemanden wenden, sonst geht es nicht. Die Strukturen bleiben sonst oft lange unentdeckt. Mitschüler sollten dazu sensibilisiert werden, das Opfer zu ermutigen, einen Lehrer anzusprechen.

WZ: Wenn das Mobbing-Problem dann thematisiert wurde, wie muss damit umgegangen werden?

Stellberg: Damit sind wir dann bei der Intervention. Im Training nutzen wir den Ansatz des No-blame-Approach. Er verzichtet auf jegliche Schuldzuweisung oder Bestrafungen. Es gibt Weiterbildungen für Lehrer zu dem Thema.

WZ: Was tut der Lehrer dann?

Stellberg. Wenn die Täter bekannt sind, holt sie der Trainer oder Lehrer aus dem Unterricht und führt mit ihnen ein Gespräch. Wichtig ist, dass sich die Täter in ihrer Machtposition ernst genommen fühlen. Dann kann das Prinzip umgedreht werden: Die Täter bekommen einen Sonderauftrag, der lautet, sich um das Opfer zu kümmern. Es wird offiziell eine Unterstützergruppe für die Lehrperson gebildet, die gegen Mobbing vorgehen soll. Unbeteiligte Schüler sollten auch Teil dieser Gruppe sein.

WZ: Das ist doch paradox. . .

Stellberg: Richtig angewendet funktioniert es aber. Täter und Opfer werden zu Verbündeten und fühlen sich zusätzlich von den anderen beobachtet. Alles wird durch Einzel- und Gruppengespräche begleitet.

WZ: Was können Eltern tun?

Stellberg: Wenig. Sie dürfen sich möglichst nicht einmischen, weil das Mobbing nicht im System Familie stattfindet, sondern im System Schule. Das Kind kann zusätzlich Hilfe beim Therapeuten bekommen, aber letztendlich gilt es, das eigentliche Problem in der Schule zu klären.

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